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09.10.10 / Als die Russen erstmals Berlin besetzten / vor 250 Jahren eroberten die Truppen Zarin Elisabeths die Hauptstadt Friedrichs des Großen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Als die Russen erstmals Berlin besetzten
vor 250 Jahren eroberten die Truppen Zarin Elisabeths die Hauptstadt Friedrichs des Großen

Im fünften Jahr des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) stand die russische Armee am 20. September 1760 untätig bei Krossen, als ein ungnädiges Schreiben der Zarin Elisabeth (1709–1762) eintraf. Um nun Aktivität zu entfalten, wurde beschlossen, Berlin zu überfallen. Dieser Coup brachte Ruhm und war gefahrlos durchzuführen, weil die preußischen Heere in Sachsen und Schlesien standen. Als Truppenführer waren Gottlob Heinrich von Totleben (1715–1773) und Graf Sachar Tschernischew (1705–1775) vorgesehen. Insgesamt verfügten die Russen über 17600 Mann mit 15 Geschützen. Außerdem sollte zu ihnen noch ein 18000 Mann starkes österreichisches Korps unter Franz Moritz Graf Lacy (1725–1801) treten.

Die Hauptstadt war nur durch 1500 Mann geschützt. Kommandant war Hans Friedrich von Rochow (1698–1787). Preußische Hilfskorps kamen aus Wittenberg und aus Vorpommern.

Totleben erschien am 3. Ok­tober 1760 vor dem Kottbusser Tor. Er forderte den Kommandanten zur Übergabe auf, was dieser ablehnte. In der Nacht versuchte Totleben, das Hallesche und das Kottbuser Tor zu stürmen, was misslang und einige Verluste einbrachte. Er ging nach Tempelhof zurück. Am 4. Oktober kam der Prinz Fried­rich Eugen von Württemberg (1732–1797) mit etwa 6000 preußischen Soldaten in der Hauptstadt an. Der Prinz bezog sein Lager außerhalb der Stadt auf dem späteren Kreuzberg. Am 5. Okt­ober erschien Tschernischew in Köpenik. Um nun weiteren preußischen Verstärkungen zuvorzukommen, griffen die russischen Kräfte am 7. Oktober 1760 an. Sie wurden aber zurückgeschlagen, und aus Wut darüber fackelten die Kosaken das Dorf Schöneberg ab.

Am Tage dieses Rückschlages trafen die Österreicher unter Lacy ein. Am darauffolgenden Tag blieben wegen eines heftigen Unwetter militärische Aktionen aus. Die preußischen Generale, die von der Ankunft des Korps Lacy erfahren hatten, berieten sich. Es waren nun 18650 preußische gegen 44000 russische und österreichische Soldaten versammelt. Man kam zu dem Entschluss, die verfügbaren Kräfte zu schonen und die Stadt Berlin, die sonst den Plünderungen preisgegeben sein würde, aufzugeben – insbesondere auch deswegen, weil man keine Nachricht vom König hatte. Am nächsten Tag brachen um 2 Uhr morgens die preußischen Truppen auf und rückten nach Spandau ab. Zurück blieb nur die Besatzung.

Währenddessen fand sich der Magistrat im Berlinischen Rathaus ein und entschied, Totleben (nicht aber Tschernischew und erst recht nicht Lacy) die Kapitulation anzubieten. Um 5 Uhr besetzten die ersten russischen Soldaten die Tore. Die Garnison ergab sich um 5 Uhr zu Kriegsgefangenen. Lacy ließ einige seiner Soldaten in Berlin einrücken, obwohl Totleben versprochen hatte, dass weder Österreicher noch Kosaken die Stadt betreten durften. Totleben und Lacy gerieten in Berlin, wo sie sich dann aufhielten, aneinander, denn Lacy forderte die Hälfte der von den Berlinern aufzubringenden Kriegssteuern. Tscherneschew gestand ihm jedoch „nur“ 50000 Reichsthaler zu, was etwa 500000 Euro entspricht. Daraufhin hielten sich die Österreicher für den ihnen vermeintlich entgangenen Tribut an der Bevölkerung schadlos. Es kam sogar zu blutigen Zusammenstößen zwischen ihnen und den von Totleben ausgesandten Sicherheitspatrouillen (Sauve-Garden).

Totleben, der im Gasthof „Stadt Paris“ Quartier genommen hatte, verlangte vier Millionen Reichsthaler Kontribution und wollte trotz allen Flehens der Magistratsmitglieder davon nicht abweichen. Da schlug die Stunde des Johann Ernst Gotzkowsky (1710–1775). Er genoss im russischen Offizierskorps einiges Ansehen und konnte Totleben davon überzeugen, dass mehr als eineinhalb Millionen Reichsthaler nicht aufzubringen seien.

Am 9. Oktober 1760 gegen 19 Uhr unterschrieb Totleben die Kapitulationsurkunde. Dadurch wurden allerdings Übergriffe österreichischer und russischer Truppen nicht verhindert. Die Schlösser Friedrichsfelde, Schönhausen und Charlottenburg wurden übel mitgenommen. Ärgste Zerstörungen und Misshandlungen durch österreichische Husaren und polnische Ulanen fanden dort statt. Am 10. Oktober zerstörten die Russen die Anlagen im Gießhaus und in der Münze. Am 11. Oktober wurden die kriegsgefangenen Soldaten, Invaliden und Kadetten mit ihrem Kommandanten abgeführt. Auch drängte Tschernischew den Berliner Magistrat, die Kontribution zu zahlen; worauf 700000 Reichsthaler in bar und 1000000 Reichsthaler in Wechseln, zahlbar in zwei Monaten, aufgebracht wurden. Der Grund für das Drängen und die Eile, mit der dann Berlin verlassen wurde, war der Anmarsch des Königs. Am 12. und 13. Oktober marschierten die Russen nach Frankfurt an der Oder zu ihrer Hauptarmee ab.

Den Gesamtschaden bezifferte der Magistrat auf 1954306 Reichsthaler. Der König wollte die Wechsel sperren lassen, aber der Magistrat bewog ihn, das nicht zu tun, da in jenem Falle der Handel mit Russland gänzlich zum Erliegen kommen würde. Gotzkowsky erreichte eine Prolongation der Wechsel um ein Jahr. Friedrich bezahlte die ausstehende Summe schließlich unter der Hand selbst. Bedauerlich war die Ausräumung des Zeughauses, in dem sich viele ruhmreiche Siegeszeichen der preußischen Armee befunden hatten.  Jürgen Ziechmann


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