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09.10.10 / Wer war die »Dunkelgräfin«? / Königstochter in dem Grab bei Hildburghausen vermutet − Einwohner verhindern DNA-Analyse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Wer war die »Dunkelgräfin«?
Königstochter in dem Grab bei Hildburghausen vermutet − Einwohner verhindern DNA-Analyse

War Hildburghausen Zufluchtsort der Tochter des französischen Königs Ludwig XVI.? Wie ein  absurd erscheinendes Gerücht bis heute seine Anhänger findet.

Nein, auf einen Fall wie den der falschen Zarentochter Anastasia kann man in Hildburghausen gut verzichten. Diese Figur der Geschichte verlor ihren Zauber, als herauskam, dass sie nicht von adligem Geblüt war. Das soll der „Dunkelgräfin“ von Hildburghausen nicht passieren. Jahr für Jahr pilgern Touristen an das Grab dieser am 28. November 1837 verstorbenen Unbekannten, die bis heute ein ungelöstes Geheimnis umgibt. Dieses Geheimnis hütet man in der 12000-Einwohner-Gemeinde in Thüringen so, wie schon Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, die Schwester von Königin Luise von Preußen und durch Heirat 1785 Herzogin von Sachsen-Hildburghausen, dieses Geheimnis zu bewahren vermochte. Doch während die Schwester der Königin möglicherweise um die wahre Identität der geheimnisvollen Frau, die 1807 nach Hildburghausen kam und ab 1810 bis zu ihrem Tod 1837 im nahegelegenen Schloss Eishausen lebte, wusste, wissen die heutigen Hildburghausener des Rätsels Lösung nicht. Allerdings gibt es dank aktuellem Forschungsstand die Möglichkeit, per DNA-Analyse herauszubekommen, wer die Tote war. Doch diese bereits Anfang des Jahrtausends angedachte wissenschaftliche Methode zur Lösung des Rätsels wurde von den Hildburghausenern bereits 2004 verhindert. Damals beschloss der Hauptausschuss des Stadtrates der von außen betriebenen Störung der Totenruhe der „Dunkelgräfin“ − die so genannt wurde, weil sie nur tiefverschleiert das Haus verließ − per Unterschriftenaktion entgegenzutreten. Die Einwohner schlossen sich sofort an. Doch es war gar nicht so sehr die Totenruhe, die den Stadtrat motivierte: „Das Mysterium an sich lässt sich für den Tourismus schon ganz gut verkaufen“, so Bürgermeister Steffen Harzer („Die Linke“) bereits 2002 gegenüber dem „Spiegel“. Und so pilgern weiter Besucher an das Grab der Unbekannten, über die seit 1852 das sich hartnäckig haltende Gerücht im Umlauf ist, dass sie die Tochter des im Zuge der Französischen Revolution geköpften französischen Königs-paares Marie Antoinette und Ludwig XVI. gewesen sei.

Die Geschichte ist so herrlich mysteriös, dass sie bis heute immer wieder Menschen fasziniert. Im Internet gibt es zahlreiche Foren, die die verschiedensten Publikationen und sogar wissenschaftliche Forschungsarbeiten zu der Frage veröffentlichen, ob die geheimnisvolle Frau von Hildburghausen nun die Königstochter war.

Interessanterweise ist das Gerücht sogar erst 15 Jahre nach dem Tod der vornehmen Schlossbewohnerin aufgetaucht. Sie lebte dort zusammen mit dem holländischen Diplomaten Leonardus Cornelius van de Valck. Dieser gab bei ihrem Tode im Alter von 58 Jahren für das Kirchenbuch an, dass sie Sophia Botta aus Westfalen gewesen sei. Doch bisher hat man in keinem Archiv in Westfalen Nachweise dafür finden können, dass dort Ende des 18. Jahrhunderts eine Sophia Botta geboren worden ist.

1852 veröffentlichte Karl Kühner, der Sohn des örtlichen Pfarrers, erstmals die Theorie, dass die unbekannte Dame Marie Thérèse Charlotte de Bourbon, Madame Royale genannt, gewesen sei. Doch obwohl seine Behauptung äußerst bizarr anmutet − so gibt es viele Belege über das Leben der 1778 geborenen Madame Royale −, fand sie schnell Anhänger. Karl Kühner stellte die Theorie auf, dass die Königstochter, die auch nach der Hinrichtung ihrer Eltern 1793 weiter gefangengehalten wurde und erst 1795 bei einem Gefangenenaustausch der Verwandtschaft ihrer österreichischen Mutter Marie Antoniette übergeben wurde, von dieser vertauscht worden sei. Grund hierfür sei die Absicht der Habsburger gewesen, die 17-jährige Verwandte adligen Geblüts im Rahmen der monarchischen Heiratspolitik an ihren Cousin Louis-Antoine de Bourbon zu verheiraten. Dieser sollte aus Sicht der europäischen Monarchen bei der Wiedererrichtung der Bourbonenherrschaft in Frankreich nach dem Sieg über die Revolutionäre eine wichtige Rolle spielen. Doch die Königs-tochter soll nach den Jahren der Haft nicht nur traumatisiert, sondern nach einer Vergewaltigung während der Haft auch noch schwanger gewesen sein, so Kühner. Da sie so für die politischen Ziele nicht einzusetzen gewesen sei, habe man sie gegen ihre Halbschwester Ernestine Lambriquet ausgetauscht. Diese habe den franzöischen Hof gekannt und habe als uneheliche Tochter von Ludwig XVI. eingermaßen überzeugend die Königstochter spielen können. Und da die echte Marie Thérèse ihrer Mutter sehr ähnlich gesehen haben soll, musste man sie vor der Öffentlichkeit verstecken. Die sich absolut absurd anhörende Gesichte fand erstaunlicherweise auch Historiker, die sich ihrer annahmen und Beweise dafür suchten, dass die „Dunkelgräfin“ Madame Royale gewesen sei. So gibt es Zeitzeugenaussagen, denen zufolge die Königstochter während ihrer ersten Lebensjahre in Frankreich eine zurückhaltende, stille und freundliche Person gewesen sei, die mutmaßliche erwachsene Marie Thérèse (†1851) soll hingegen kalt und schroff gewesen sein. Zudem unterscheiden sich die Bildnisse, die vor und nach der Haft gemacht wurden, massiv. Allerdings sind Gemälde aus der Zeit nicht wirklich ein Beweis, und außerdem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Ernestine Lambriquet nicht die vermutete Ersatzperson gewesen sein kann, da sie laut Archiven 1810 heiratete und 1813 verstarb.

Ist alles also nur ein Hirngespinst eines phantasiebegabten Pfarrerssohns? Doch warum gab es dann diesen herzöglichen Schutzbrief? Dass die Schwester von Königin Luise, Charlotte von Sachsen-Hildburghausen, mit der später hingerichteten französischen Königin Marie Antoinette befreundet gewesen sein soll, wäre eine Erklärung dafür, dass die „Dunkelgräfin“ in Hildburghausen Aufnahme fand. Und auch für das Opalcollier mit Bourbonenlilien und das Zylinderschreibtischchen mit Wappen des Fürstenhauses aus dem Nachlass der „Dunkelgräfin“. Allerdings stellt sich die Frage, warum Leonardus Cornelius van de Valck eine Bourbonenprinzessin begleitet haben soll, wo er doch während der Französischen Revolution gegen die Bourbonen gekämpft hat? Und wieso lebte die „Dunkelgräfin“ in der Dunkelheit? Umgab sie vielleicht gar kein Geheimnis, sondern litt sie nur unter einer Lichtallergie. Fragen über Fragen, von denen Interessierte in Hildburghausen noch mehr zu hören bekommen können. Antworten könnte eine DNA-Analyse liefern, aber zumindest viele Hildburghausener haben an dieser gar kein Interesse. Rebecca Bellano


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