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09.10.10 / Unser Dorf soll nicht sterben / Der Demographie zum Trotz: Es gibt Gemeinden, die erfolgreich gegen die Abwanderung junger Leute und die Stagnation angehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Unser Dorf soll nicht sterben
Der Demographie zum Trotz: Es gibt Gemeinden, die erfolgreich gegen die Abwanderung junger Leute und die Stagnation angehen

Ob Bergdörfer in der Schweiz oder malerische portugiesische Küstenweiler – überall in Europa bedrohen abnehmende Geburtenraten und die Abwanderung junger Menschen in die Ballungsräume die Dörfer. Auch in Deutschland sind Ideen gefragt. Viele Gemeinden haben die Herausforderung nicht erkannt: Dörfer unter 1000 Einwohnern verzeichnen in den letzten Jahrzehnten einen Rückgang der 18- bis 40-Jährigen um bis zur Hälfte. Andere Gemeinden hingegen halten mit Kreativität dagegen.

Im südlichen Sachsen-Anhalt versüßen Gemeinden Neugeborenen mit 50 Euro das Dorfleben, doch das ist eine erfolglose, da kurzfristige Strategie. Der Wandel trifft kleine Orte und besonders deren Kerne. Höfe stehen leer, zugleich weisen viele Gemeinden stolz Neubaugebiete aus und so wächst mancher Ort trotz weniger Einwohner vornehm in die Breite. Doch mehr Fläche bringt oft unkalkulierte Kosten aus Erschließung und Instandhaltung. Baden-Württemberg ruft dem „Dorf Komm“ entgegen. Der Leitfaden wendet sich an alle Ortsvorsteher. Er beruht auf Erfahrungen in der Region Hohenlohe-Tauber, genauer im beschaulichen 7000-Einwohner-Ort Boxberg und seinen dörflichen Stadtteilen. Der umgebende Main-Tauber-Kreis hat die geringste Einwohnerdichte des Bundeslandes (103 pro Quadratkilometer). Zwar kennt auch dieses Konzept keine schnelle Lösung für den Mangel an ländlichen Arbeitsplätzen, doch die Idee, den Ortskern für junge Familien attraktiver zu gestalten, ist neu. Alte Bausubstanz wird familiengerecht saniert, und zwar im Idealfall schneller und unkomplizierter, als ein Neubau auf der grünen Wiese dauern würde. Einschränkungen durch Bebauungspläne entfallen, neue Bewohner können sich ihre Nachbarn aussuchen, und moderne Wohnformen wie Mehrgenerationenhäuser sind möglich. Zuerst sollen die Dörfer im „Psychotest“ feststellen, was sie allein leisten können. Ein Immobilienpool der Gemeinde bringt dann Verkaufswillige und Käufer rasch zusammen. In der Region legt man Wert auf „Nachhaltigkeit“, die Gemeinden sollen verstehen, was sie das Flächenwachstum kostet.

Eine ganz andere Strategie verfolgt Bürgermeister Heino Pauka für Dötlingen in Niedersachsen. Er wirbt ausgiebig damit, seit zehn Jahren die „erste schuldenfreie Gemeinde Niedersachsens“ zu leiten. Mitsprache für alle Bürger in Form gemeinsamer Entscheidungen und eine geschickte Marketingstrategie als feines, gepflegtes Künstlerdorf – „kein Museumsdorf“, so Pauka − sorgen für Bevölkerungswachstum. Hatte der Ort Anfang der 90er Jahre noch etwas über 4000 Bewohner, sind es jetzt gut 6000. Ein großer Teil des Erfolgsrezepts, das sogar Industrieansiedlungen mit sich brachte, geht allerdings aufs Konto der nahen Großstadt Bremen. Rund 1500 Pendler verlassen täglich Dötlingen, das selbst rund 1300 Jobs bietet. Nicht alle Gemeinden können dieses Potenzial landlustiger Städter abschöpfen, doch neue Ideen unter direkter Bürgerbeteiligung gehören fast immer zum Rezept erfolgreicher Dörfer. Wo sich lokale Politiker als Verwalter oder Beamte verstehen, sind die Aussichten dagegen schlecht – das zeigen Wettbewerbe wie „Unser Dorf hat Zukunft“. Bundesweit konkurrieren bei der einstigen Blumenschmuckschau inzwischen Orte um umfassende Dorferneuerung. Unter den neueren Siegern sind fast nur noch Dörfer, die sich von solidem Wirtschaften bis Zukunftsplanung umfassend mit ihrer Lage auseinandersetzen. Banzkow bei Schwerin, Wettbewerbssieger 2007, glänzte mit kontrolliertem Wohnungsbau, der gleich altersgerechte Wohnflächen mit umsetzte und außerdem an die Kinder und deren Betreuung dachte. Alte niederdeutsche Hallenhäuser wurden renoviert, locken Besucher mit einer gewissen Land-Idylle. Acht Vereine schweißen das Dorf zusammen. Dabei schien gerade der Anspruch der Bürger, das Dorf als Ganzes vorzustellen und nicht nur Teile zukunftsfit machen zu wollen, anfangs eher Hindernis für einen Preis zu sein. Die Wettbewerbszeit wurde knapp. Doch der Fall zeigt: Wer auf langfristige Planung setzt, gewinnt spät, aber deutlich.           Sverre Gutschmidt


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