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09.10.10 / Fliegende Lehrerin / Biographie über eine ungewöhnliche Rancherin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Fliegende Lehrerin
Biographie über eine ungewöhnliche Rancherin

Nach ihrem Bestseller „Schloss aus Glas“ stand die US-Autorin Jeannette Walls vor der Frage, wie sie sich noch steigern könnte. Sie überlegte, einen Roman über das Leben ihrer Mutter zu schreiben, doch diese verwies ihre Tochter stattdessen auf das bewegte Leben ihrer eigenen Mutter Lily Casey. Zwar kannte

Jeannette Walls viele Geschichten über ihre Großmutter, doch da diese gestorben war, als sie selbst acht Jahre alt war, hatte sie keinen rechten Bezug zu dem Thema. Doch je mehr ihre Mutter erzählte, desto mehr begeisterte sich auch die Enkelin für das Leben Lilys, das anhand zahlreicher Dokumente, Zeitungsartikel und Zeitzeugenberichte relativ leicht zu rekonstruieren war. Und so erzählt Jeannette Walls in „Ein ungezähmtes Leben“ aus der Ich-Perspektive das bewegte Leben von Lily Casey, die die ersten Lebensjahre auf einer Farm in New Mexiko verbrachte und in Arizona aufwuchs.

1901 als erstes von drei Kindern geboren, prägte das harte Leben in diesen trocken-herben Regionen der USA das Leben der Familie. Da der Vater, der Kutschpferde ausbildete, nach einem Tritt eines Pferdes linksseitig behindert war, humpelte und nicht mehr deutlich sprechen konnte und die aus einer feinen Familie stammende Mutter sich mitten im Wilden Westen die Finger nicht schmutzig machen wollte und äußerst katholisch war, galten die Eltern überall als Sonderlinge. Da die Erwachsenen sich in ihren kreativen, aber utopischen Geschäftsideen beziehungsweise in ihrer Religion verstiegen, war Lily früh genötigt, für die Familie zu denken. Erst mit 13 Jahren durfte sie eine katholische Mädchenschule besuchen, doch schon nach einem halben Jahr musste sie die geliebte Schule verlassen, da ihr Vater die Gebühren nicht bezahlt hatte. Grund hierfür war, dass er ohne seine Älteste nicht zurecht kam. Doch Lily wollte ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Da in Zeiten des Ersten Weltkrieges fast alle Dorfschullehrer im Krieg waren, bestand Personalmangel und die Schulleiterin der katholischen Mädchenschule, die Lily besucht hatte, verschaffte ihrer Musterschülerin einen Job als Lehrerin in einem winzigen Dorf. In 24 Tagen ritt die 15-Jährige quer durch Arizona, um dort ihre erste Stelle als Lehrerin anzutreten.

Doch die Großmutter von Jeannette Walls sollte schon nach dem Krieg und der Rückkehr der Soldaten mangels Schulabschluss entlassen werden und es begann eine Zeit der ungewöhnlichsten Anstellungen, Ausbildungszeiten und zu meisternden Krisen. Spannend hierbei ist, dass die Ich-Erzählerin merklich an ihren Erfahrungen reift. Und auch wenn die junge Lily schon nicht zart besaitet war, so ist die erwachsene Lily knallhart, worunter auch ihre Kinder später leiden. Doch ein Heiratsschwindler, der Selbstmord ihrer Schwester und eine von Männern dominierte Welt lassen Lily zu einem „harten Hund“ werden. Als Lehrerin, Dienstmädchen, Rennreiterin, Rancherfrau, illegale Schnapshändlerin, Pokerspielerin, Flugzeugpilotin und Werkstattmitarbeiterin muss sie sich mit wütenden Mormonen, steifen Schulräten, egozentrische Investoren und finanzielle Rückschlägen sowie Dürren rumschlagen.

„Hoffe das Beste und rechne mit dem Schlimmsten“, soll Lily schon von ihrem Vater gelernt haben, diese Devise soll sie laut ihrer Enkelin beherzigt haben. Als Folge wächst dem Leser diese knallharte Frau zwar nichts ans Herz, aber sie nötigt ihm Respekt ab und verdeutlicht auch, dass der Wilde Westen nicht romantisch war, sondern vor allem rau und unkonventionell.       Rebecca Bellano

Jeannette Walls: „Ein ungezähmtes Leben“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, gebunden, 365 Seiten, 20 Euro


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