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09.10.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Die Macht der Gefühle / Wie Amerikaner zu zwei Präsidenten kommen, wie die deutschen Linken orientalisch  wurden, und wie alles zusammenwächst

Die amerikanische Austauschstudentin hat einiges zu erzählen. Ein Jahr hatte sie in Deutschland gelebt, wunderschöne Orte und Landschaften gesehen, die Leberwurst entdeckt und allerhand interessante Leuten getroffen. Eine besonders bizarre Begegnung widerfuhr ihr in Berlin. Da traf sie einen bleichen, blonden Mann, der offenkundig der Meinung war, er sei Obama. „Gestatten, ich bin Ihr Präsident!“ Es gibt eben auch Spinner im Land der Denker, klärt die Studentin ihre verblüfften Leute daheim auf. Aber keine Sorge, beruhigt die junge Frau ihre irritierten Eltern: „Der Typ war gut bewacht.“

Eine wahre Begebenheit? Nicht ganz, aber fast. Die Geschichte schoss mir spontan durch den Kopf, als ich die Worte unseres Bundespräsidenten am 3. Ok­tober hörte: „Natürlich bin ich der Präsident aller Menschen, die hier in Deutschland leben.“ Barack Obama nennt sich „Präsident aller Amerikaner“, ganz gleich wo auf der Welt die gerade leben. Sollte es die Amis also nach Deutschland verschlagen, haben sie es auf einmal mit zwei Präsidenten zu tun. Würden sie ihrem Zweitstaatschef dazu noch persönlich begegnen, wäre die peinliche Szene unausweichlich.

Schon komisch: Der Satz, mit dem unser Präsident das deutsche Staatsvolk durch die Masse der zufällig hier gemeldeten Bewohner ersetzte, fiel niemandem weiter auf. Eher schon, dass er sagte, der Islam gehöre ebenso wie Christentum und Judentum selbstverständlich zu Deutschland. Angela Merkel zeigte sich besonders von dem Ausdruck „ebenso“ entzückt.

Wir hatten uns an dieser Stelle ja bereits gesorgt, wie sehr sich die Politik in ihrer Parallelgesellschaft eingemauert und nahezu jeden Kontakt zum deutschen Volk verloren hat. Schlimm, schlimm. Integrationsforscher indes halten eine tröstliche Botschaft parat: Sie haben den Ausweg aus der Isolation der Randständigen gefunden, und der lautet: Bildung!

Ein Schnellkurs sollte es richten, der Wulff, Merkel und Co. kurz mit dem langen Werden der deutschen Kultur bekanntmacht und ihnen zeigt, wie weit die Wurzeln und Triebe dieses gigantischen Wesens reichen – und Schluss ist’s mit dem Geplapper vom „ebenso“.

Oder doch nicht? Sind vielleicht wir es, die etwas Entscheidendes verpasst haben und dringend der Fortbildung bedürfen? Um meinen Verdacht zu begründen, muss ich kurz abschweifen. Doch keine Sorge, wir sind gleich wieder auf dem Punkt:

Der ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad, selbst Moslem und Sohn eines Imam, sagt den Untergang der islamischen Welt voraus, weil es dort „keine kreative Wirtschaft, keine effektive Bildung“ gebe und die „Geisteshaltung erstarrt“ sei. Er sieht überall um sich greifenden Stillstand in den Ländern des Islam, weil der Mangel an geistiger und politischer Freiheit alles lähme.

Extrembeispiel für diese Erstarrung war das Afghanistan der Taliban. Als die noch an der Macht waren, fragte ein deutscher Orientalist einen Taliban-Mullah, warum man denn in dem bürgerkriegszerstörten Land gar nichts aufbaue, keine Straßen, keine Kraftwerke, Stromleitungen, Brücken, Schulen etc. errichte. „Aber wir bauen doch“, antwortete der Mullah, „allerorts entstehen neue Moscheen, neue Ko­ranschulen, neue Gebetsräume“, andere Vorhaben würden      blockiert, weil die sowieso unnötig seien.

Jetzt blicken wir mal auf Deutschland: Ob hier jemand eine Stromleitung, ein Kraftwerk oder einen Bahnhof bauen will – sofort rauscht die „engagierte Öffentlichkeit“ unter den Schlachtrufen parteipolitischer Aufpeitscher herbei und leistet „Widerstand“. Besonders gerne montäglich, weil das so einen schicken historischen Touch hat. Schon jetzt vergammeln etliche große Projekte in der Warteschleife oder sind ganz an der militanten Erstarrung zerschellt. Ganz anders beim Moscheebau: Kommt dagegen Unwillen auf, ist die gleiche „engagierte Öffentlichkeit“ mit denselben Aufpeitschern hoch erregt zur Stelle, um das Vorhaben mit aller Macht gegen die          verstockte Nachbarschaft durchzusetzen. Der Taliban-Mullah wäre überrascht, wie weit wir mit dem „kulturellen Zusammenwachsen“ schon gekommen sind.

Jetzt verstehen wir erst die gleichgültigen Reaktionen von SPD und Grünen auf die Wulff-Rede. „Für die SPD war das nichts wirklich Neues“, nölt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ins Mikro. Jürgen Trittin seufzt, Wulffs Aussage zum Islam haue „keinen Grünen vom Stuhl“. Die sind also schon viel enger „zusammengewachsen“ mit dem Islam, als wir ahnten.

Abdel-Samad bestätigt diesen Befund. Mit seinem Buch über den selbstverschuldeten Niedergang der islamischen Länder ging er dieser Tage auf Lesereise durch Deutschland. Er habe viel Zuspruch erfahren, berichtet der Ägypter. Es gebe aber auch Leute, die sich über ihn geärgert hätten. Meist seien das „gläubige Muslime oder deutsche Linke“, so der Autor, der staunt: „Die haben eine ganz merkwürdige Beziehung zueinander.“

Merkwürdig? Wie man’s nimmt: Nicht bloß ihre gemeinsame Vorliebe bei der Auswahl erwünschter und unerwünschter Großprojekte verbindet deutsche Linke und besonders gläubige Muslime. Ihre Gemeinsamkeiten haben sich längst in die Tiefen des Bewusstseins vorgearbeitet. Im täglichen Leben sind die Früchte des Zusammenwachsens  unübersehbar: In ihrer Auffassung davon, was in öffentlichen Debatten erlaubt ist und was nicht, haben sich deutsche Linke weit hinüberbewegt zur Denkweise orientalischer Pietät.

Nach abendländischer Auffassung ist die Nennung bloßer Tatsachen bekanntlich stets wertneutral zu betrachten. Wer simple historische Daten oder unabweisbare statistische Zahlen abspult, der muss sich im Reich der Aufgeklärten nicht einmal erklären. Das kommt erst später, wenn es um seine Deutung der Daten geht. Da prallen die Meinungen aufeinander, aber frei und ohne Androhung von „Folgen“ für den, der etwas Unerwünschtes sagt.

Aufgeklärte Muslime wie Abdel-Samad sehen diese Vorgehensweise als den großen Vorteil des Okzidents, den der Orient übernehmen müsse, wenn er überleben wolle. Es müsse Schluss sein mit der Tabuisierung nackter Tatsachen, der Behinderung und Verfemung des freien Denkers und seiner Reden – wie im Westen eben.

Tja, welchen „Westen“ er da bloß meint? Den der deutschen Linken gewiss nicht. In den vergangenen Wochen haben wir erlebt, wie sie reagierten, als ein Mann nur aus der Kriminalitätsstatistik vorlas oder den Bildungsstand bestimmter Bevölkerungsgruppen ansprach. Oder als eine Frau das historische Datum einer militärischen Aktivität eines Nachbarlandes nannte: „Unerträglich“ und, immer wichtig bei Debatten von dänischen Karikaturen bis hin zu polnischen Teilmobilmachungen: „eine Beleidigung der Gefühle von ...“

Ja, die „Gefühle“, die sind die beste Waffe überhaupt, weil „Gefühle“ nie sachlich begründet werden müssen. Wenn erst mal durchgesetzt ist, dass „Gefühle“ wichtiger sind als Fakten, dann ist der Spuk mit der „freien Rede“ so gut wie ausgestanden. Natürlich dürfen nicht alle Gruppen „Gefühle“ geltend machen, denn wenn den Falschen auch welche gestattet würden, dann könnte man mit dem Gefühlsprügel ja nichts mehr durchsetzen.

Deutsche Heimatvertriebene können sich ihre „Gefühle“ beispielsweise an den Hut stecken, das sind nämlich nur „dumpfe Ressentiments“ von „Ewiggestrigen“. Wer dagegen in die Kreise islamistischer Attentäter gerät, der darf fühlen, denn er hat zuvor bestimmt furchtbar gelitten unter der „Bevormundung durch den Westen“. So ist geklärt, wer in der Talkshow den Ankläger spielen darf und wer sich gefälligst trollen soll. Wie einst im goldigen Mittelalter entscheiden Glaube und Herkunft darüber.


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