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16.10.10 / Anglikaner in der Krise / Der Papstbesuch machte deutlich, dass die Church of England den Vatikan braucht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-10 vom 16. Oktober 2010

Anglikaner in der Krise
Der Papstbesuch machte deutlich, dass die Church of England den Vatikan braucht

Reiste Papst Johannes Paul II. 1982 noch als „Pilger“ nach England, so stand der Besuch von Papst Benedikt XVI. im September auf den Britischen Inseln unter völlig anderen und historischen Vorzeichen.

Zum ersten Mal in der Geschichte Englands wurde ein römischer Papst mit allen öffentlichen Ehren als Staatsgast empfangen. Versöhnliche Zeichen sandte er an die in Auflösung begriffene anglikanische Staatskirche.

Dass der Papst von Hunderttausenden katholischen Gläubigen auf seinen Stationen in Edinburg, London und Birmingham begeistert empfangen wurde, mag noch selbstverständlich erscheinen; dass jedoch die linksliberale Presse, die im Vorfeld des Besuches ausgesprochen aggressiv und feindlich agiert hatte, zum Ende des Staatsbesuches fast ausschließlich lobende Worte über den „heiligen Großvater“ fand, löste allseits Erstaunen aus. Offenbar hat auch die anglikanische Staatskirche, die über Jahrhunderte die Katholiken der Britischen Inseln unterdrückte und verfolgte, ein neues und versöhnliches Verhältnis zur katholischen Kirche gefunden.

Der Anglikanismus steht heute vor einem Dilemma. Die 1534 von König Heinrich VIII. selbstherrlich gegründete beziehungsweise annektierte „Church of England“ ist heute innerlich über die Frage der Ordination von Frauen und Homosexuellen zum Priester- und Bischofsamt tief gespalten. Etwa die Hälfte der 70 Millionen Anglikaner weltweit verweigert hier dem Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, die Gefolgschaft. Viele anglikanische Kirchen stehen leer oder zum Verkauf; manche werden auch abgerissen. Spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat eine theologische Erosion des Anglikanismus eingesetzt. Seitdem wanderten viele Gläubige in evangelikale Freikirchen oder in die katholische Kirche ab. Dieser Prozess hat sich in den letzten 30 Jahren noch verstärkt. Mehrere Hundert anglikanische Pastoren sind seitdem katholisch geworden. Die meisten von ihnen konnten, dank einer Sondergenehmigung Papst Johannes Pauls II., auch als verheiratete Männer zu katholischen Priestern geweiht werden.

Der Anglikanismus sieht sich heute einer vielfältigen Konkurrenz ausgesetzt. Auf der einen Seite christliche Konfessionen, die eine aktive Missionsarbeit betreiben, auf der anderen Seite ein aggressiver Atheismus und Islam. Seit dem Großbritannien seine Weltmachtmachtstellung verloren hat und die Staatskirche nicht mehr mit politischen Machtmitteln gestützt werden kann, ist der Niedergang scheinbar unaufhaltsam. Dazu passt die Nachricht, dass die im 18. und 19. Jahrhundert führende Industrienation der Welt heute nur noch auf Platz 10 der Exportnationen steht, wie das Nachrichtenmagazin „Focus“ kürzlich meldete. Lange unterlegene Länder wie Frankreich, Belgien, Holland oder Italien haben die Briten inzwischen überholt.

Zwar gehören in England noch 72 Prozent der Bevölkerung christlichen Kirchen an; doch die Britischen Inseln wandeln sich zunehmend zu einem multiethnischen und multireligiösen Gebiet. Umso gespannter wartete die Öffentlichkeit auf den unumstrittenen Höhepunkt des historischen Staatsbesuches: die Seligsprechung des größten Theologen des Anglikanismus im 19. Jahrhundert, den zum katholischen Glauben konvertierten John Henry Kardinal Newman (siehe Artikel unten).             Hinrich E. Bues


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