19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.10.10 / Imame: Entfremdung, die

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-10 vom 23. Oktober 2010

Gastkommentar
Imame: Entfremdung, die von der Kanzel kommt
von Prof. Dr. Rauf Ceylan

Islamische Theologie in Deutschland mag fremd und selbstverständlich zugleich erscheinen, doch über eines ist sich die deutsche Politik einig: Sie wird dringend benötigt. Das Motiv ist vor dem Hintergrund der aktuellen Integrationsdebatten um das Buch von Thilo Sarrazin oder die Aussagen des Bundespräsidenten Christian Wulff nachvollziehbar: Sie bietet für die Integration der Muslime viele Vorteile. Während man sich in der islamisch geprägten und eigentlich streng laizistischen Türkei über die enorme Bedeutung der Imame bewusst ist, hat man in Deutschland dieses Thema bisher kaum berücksichtigt. Nicht ohne Grund beschäftigt der türkische Staat zur Kontrolle der religiösen Angelegenheiten über 100000 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Und nicht ohne Grund sendet die Türkei jährlich etwa 100 Imame nach Deutschland. Ihre Zahl beläuft sich insgesamt auf etwa 800. Als Staatsbeamte sind sie in den Ditib-Moscheegemeinden tätig, um türkisch-muslimische Migranten in religiösen Angelegenheiten zu betreuen.

Zu lange hat Deutschland weggeschaut. Die Folgen dieser Ignoranz: Seit den 1970er Jahren wurde hierzulande ein herkunftsorientierter Islam gepredigt. Viele der muslimischen Kinder und Jugendlichen verstehen sich heute daher eher als Türken oder Araber, aber nicht als in Deutschland beheimatete Muslime.

Dies ist sicherlich zum einen darauf zurückzuführen, dass der deutsche Staat diesen Einfluss aus dem Ausland nicht unterbunden hat. Auf Seiten der mittlerweile vier Millionen Muslime haben Abschottung der muslimischen Gemeinden, unprofessionelle Vertretung der Muslime, „mentale“ Ghettoisierung, wirtschaftliche Benachteiligungen sowie mangelhaftes Bildungsbewusstsein dazu beigetragen, ihre Imame nicht in Deutschland auszubilden. Es bringt aber nichts, den verlorenen Jahren hinterher zu weinen, sondern von nun an muss es aktives Ziel sein, Imame in Deutschland auszubilden. Dies wird uns in Deutschland viele Vorteile bringen. Ein wesentlicher Vorteil wird es sein, dass der Einfluss aus dem Ausland mittel- bis langfristig unterbunden sein wird. Denn bisher waren mangelnde Sprachfähigkeit und geringe Identifikation mit diesem Land nur eine der vielen negativen Konsequenzen.

Desweiteren kennen die „Import-Imame“ die Lebenswirklichkeit der muslimischen Kinder und Jugendlichen nicht. Viele Studien zeigen, dass vor allem in dieser jungen Gruppe strukturell bedingte Integrationsdefizite herrschen. Da Imame wichtige Multiplikatoren in den Gemeinden sind, müssten sie viel mehr soziale Verantwortung tragen und die muslimischen Eltern dazu motivieren, ihre Kinder im Integrationsprozess zu unterstützen. Aber auch diese Brückenfunktion erfüllen nur die allerwenigsten der über 2000 Imame.

Seit Jahren wird überdies in der Politik und in den Medien über Ehrenmorde und Zwangsheiraten gesprochen. Die Frage, die sich in diesem Kontext stellt, ist: Welcher Imam hat sich aber je dazu in der Öffentlichkeit geäußert und diese Taten verurteilt beziehungsweise verurteilen können? Gerade die Stimme von religiösen Autoritäten wäre in solchen Diskussionen wichtig, aber ohne deutschsprachige und moderne Imame wird dies auch in Zukunft nicht der Fall sein.

Schließlich stelle ich mit großer Besorgnis fest, dass seit dem 11. September 2001 die Gruppe der Salafiten, der radikalen Prediger, zunimmt. Es sind sehr eloquente, deutschsprachige, selbsternannte Imame, die versuchen, junge Muslime anzuwerben. Diese bereiten auch den vielen traditionellen Moscheegemeinden Probleme. Diese „Rattenfänger“ sind sehr effizient, zumal sie es verstehen, den Islam in eine populäre Form zu gießen. Sie kennen die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, ihre Sorgen und Integrationsprobleme und instrumentalisieren die Lebenssituation. „Diese Gesellschaft möchte dich nicht, aber bei uns bist du willkommen. Du bist etwas besseres“, lautet die Message an die Jugendlichen. Diese Botschaft, gepaart mit sehr einfachen Weltbildern (Gläubige gegen Ungläubige), führt dazu, dass immer neue Extremisten produziert werden.

Ich könnte die Liste der Defizite weiter ausführen, doch diese wenigen Beispiele führen bereits vor Augen, wie wichtig es ist, deutschsprachige Imame hierzulande auszubilden, die modern und demokratisch sind. Vor diesem Hintergrund bietet die Universität Osnabrück eine kleine und eine große Lösung an. Die kleine Lösung beginnt dieses Wintersemester mit einem universitären Weiterbildungsprogramm. Ziel ist es, in zwei Semestern Wissen über unser Land, über unsere Geschichte und über unser politisches System zu vermitteln. Daneben sind auch Exkursionen wie zum deutschen Bundestag geplant.

Mit der großen Lösung beginnen wir 2012 mit einem ordentlichen Studiengang für islamische Theologie. Ohne diesen Schritt bleiben alle weiteren Maßnahmen auf dem Weg zu einem europäischen Islam in der Tat nur ein kleine Lösung.

Wir müssen jungen Muslimen die Gelegenheit geben, nach dem Abitur islamische Theologie auf deutschem Boden und nach europäischen Universitätsstandards zu studieren. Dies wird wesentlich dazu beitragen, Theologen nicht mehr aus dem Ausland zu importieren. Schließlich, und das wird oft außer Acht gelassen, müssen wir wissenschaftlichen Nachwuchs qualifizieren. Denn schließlich geht es ja auch darum, die heiligen Texte im europäischen Kontext neu zu interpretieren. Gerade deshalb wurden in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Universität Osnabrück fünf Stipendien für Doktoranden im Bereich der Islamischen Theologie und Religionspädagogik ausgeschrieben.

Natürlich ist dieser Schritt mit vielen Herausforderungen verbunden. Eine wesentliche Frage ist sicherlich „Wo sollen diese Theologen nach ihrem Studium arbeiten und wer soll diese Akademiker bezahlen?“ Diese Theologen sollen natürlich in Moscheegemeinden tätig sein, um dort Einfluss auszuüben. Daher müssen wir im Studium mit den Moscheegemeinden kooperieren und sie von unserem Vorhaben überzeugen. Wie in jeder Partei auch herrschen dort verschiedene Kräfte. Die einen, die sich öffnen wollen und das Vorhaben unterstützen. Die anderen, die sich abschotten wollen. Vor allem die progressiven Kräfte müssen wir daher durch Kooperation und Kommunikation erreichen und unterstützen. Damit Grenzen wir alle kontraproduktiven Kräfte in den Gemeinden aus. Dies ist auch daher wichtig, damit nach der Ausbildung der Imame, sie in diesen Moscheegemeinden tätig sein können. Die Mitbestimmung von religiösen Institutionen bei der universitären Ausbildung ist nicht nur rechtlich geboten, sondern aus Akzeptanzgründen schlichtweg unerlässlich. Schließlich hat der Steuerzahler nichts davon, wenn wir Theologen und Imame ausbilden, die in den Moscheegemeinden keine Akzeptanz und Einstellung finden.

Natürlich befinden wir uns auf einem Experimentierfeld, und weitere Herausforderungen werden uns sicherlich im Laufe dieses Projektes begegnen, aber eines ist sicher: Wir dürfen keine Zeit verlieren und das Feld anderen überlassen. Denn nicht umsonst sind die kontraproduktiven Kräfte in manch einer muslimischen Gemeinde gegen eine Imamausbildung in Deutschland. Deshalb müssen wir uns umso mehr für dieses Projekt einsetzen.

 

Prof. Dr. Rauf Ceylan ist Religionswissenschaftler an der Universität Osnabrück und schult für die Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei Imame. Er hat das Buch „Die Prediger des Islam“ veröffentlicht.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren