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23.10.10 / Mit drohendem Finger zum Takt angehalten / In Leipzig erinnert vieles an die Familie Bach – Das Wohnhaus des genialen Komponisten blieb allerdings nicht erhalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-10 vom 23. Oktober 2010

Mit drohendem Finger zum Takt angehalten
In Leipzig erinnert vieles an die Familie Bach – Das Wohnhaus des genialen Komponisten blieb allerdings nicht erhalten

Leipzig ist von Kopf bis Fuß auf (klassische) Musik eingestellt. Keine andere deutsche Stadt kann so viele bedeutende Komponisten vorweisen wie die Sachsenmetropole an Pleiße und Weißer Elster.

Wer der fünf Kilometer langen Notenspur folgt, wird an das Leben der Musiker, die in Leipzig geboren, studiert, komponiert, gastiert oder gelehrt haben, auf vielfältige Weise erinnert. Etwa an Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann, Albert Lorzing, Max Reger, Richard Wagner, Edward Grieg, Gustav Mahler, Georg Philipp Telemann und selbstverständlich an den Meister der Barockmusik Johann Sebastian Bach, der das musikalische Leben der Stadt 27 Jahre lang geprägt hat.

Als Bach 1723 nach Leipzig kam, zog er in eine pulsierende Großstadt. Das Thomaskantorat war eines der führenden in Deutschland und die Thomasschule eine der begehrtesten Ausbildungsstätten für Musiker. Das Leben des Thomaskantors war von zahlreichen Pflichten geprägt, sein Arbeitspensum immens. Bach komponierte, leitete die Chorproben und die Aufführungen in den Kirchen, erteilte Instrumentalunterricht, begleitete die Chorsänger bei Beerdigungen oder Hochzeiten, bestellte die Musiker und bereitete Texthefte zu den Kantatenaufführungen vor. Einmal monatlich übernahm er für eine Woche die Aufsicht im Internat. Nebenbei unterhielt er einen kleine Buch- und Musikalienhandel, verlieh Musikinstrumente und achtete auf ihre Instandhaltung. In welchem Umfang Bach eigene Kompositionen aufführte, lag in seinem Ermessen. Mit dem Amt des Thomaskantors übernahm Bach auch Verpflichtungen an der Universitätskirche St. Pauli. Die Leipziger Universität war seit ihrer Gründung 1409 im Thomasstift eng mit der akademisch höchst profilierten Thomasschule verbunden. Zu seinen Aufgaben an der Universitätskirche übernahm Bach auch Auftragskompositionen, beispielsweise Glückwunsch- und Trauermusiken. Studenten unterstützten regelmäßig seine musikalischen Aufführungen. Und mit seinem Gutachten für Absolventen der Thomasschule nahm Bach außerdem Einfluss auf die begehrten Freiplätze an der Universität. 

44 Originalstimmensätze des Choralkantaten-Jahrgangs von 1724/1725 haben sich in Leipzig erhalten. Sie sind der wertvollste Handschriftenbestand, der im Bach-Archiv aufbewahrt wird und eingesehen werden kann. Sobald Bach die Partitur fertiggestellt hatte, schufen Kopisten, Familienmitglieder, manchmal auch der Meister selbst das Aufführungsmaterial für Chor und Orchester. Anschließend wurde das neu komponierte Werk eingeübt und aufgeführt. Der ehemalige Rektor der Thomasschule Johann Matthias Gesner war über Bach voll des Lobes: „…Wenn du ihn sähest, wie er auf alle zugleich achtet und von 30 oder sogar 40 Musizierenden diesen durch ein Kopfnicken, den nächsten durch Aufstampfen mit dem Fuß, den dritten mit drohendem Finger zu Rhythmus und Takt anhält, dem einen in hoher, dem anderen in tiefer, dem dritten in mittlerer Lage den Ton angibt; wie er ganz allein mitten im lautesten Spiel der Musiker, obwohl er selbst den schwierigsten Part hat, den Überblick behält und sofort merkt, wenn irgendetwas nicht stimmt; wie er alle zusammenhält und überall abhilft und wenn es irgendwo schwankt, die Sicherheit wieder herstellt; wie er den Takt in allen Gliedern fühlt, die Harmonien alle mit scharfem Ohr prüft, allein alle Stimmen mit der eigenen begrenzten Kehle hervorbringt…“, notierte Gesner 1738 bewundernd. Die Ausdruckskraft der Bachschen Musik wird wesentlich bestimmt durch die Klangfarben, den Cha-rakter und die Symbolik des barocken „Theatrum instrumentorum“. Bach interessierte sich lebhaft für die Funktionsweise von Instrumenten, für Akustik und die Probleme der Instrumenten-Stimmung. Er nutzte die vielfältigen Möglichkeiten der klanglichen Kontraste und Kombinationen und verwendete neu entwickelte Musikinstrumente wie die Oboe d’amore, die Oboe da caccia oder Bassono grosso bald in seinen Kompositionen. Mit dem bedeutendsten sächsischen Orgelbauer der Barockzeit, Gottfried Silbermann, dem Blasinstrumentenmacher Johann Heinrich Eichentopf oder dem Geigenbauer Johann Christian Hoffmann, arbeitete er fruchtbar zusammen. Niemand konnte Dispositionen zu neuen Orgeln besser angeben und beurteilen als Bach, behauptete 1754 sein Sohn Carl Philipp Emanuel, der am Hofe Friedrich des Großen als Komponist und Musiker tätig war. Dass es im Bachschen Haushalt zuging wie in einem Taubenschlag, lässt sich gut nachvollziehen. Außer den Eltern und zahlreichen Kindern lebten dort Verwandte und Privatschüler, auch Gäste gingen ein und aus. Dokumente, die vom Privatleben der Familie Bach berichten, sind kaum bekannt. Angesichts der spärlichen Quellenlage ist es ein Glücksfall, dass sich rund 250 Briefentwürfe von Johann Elias Bach erhalten haben. Der Neffe Johann Sebastians war von 1737 bis 1742 Sekretär und Hauslehrer im Bachschen Haushalt. Einige Briefentwürfe erlauben Einblick in das Alltagsleben der Familie. Sie berichten von Vorlieben einzelner Familienmitglieder, etwa dass Bach gutem Hefebrandwein zugeneigt war oder dass seine Ehefrau Anna Magdalena „eine große Liebhaberin von der Gärtnerey“ gewesen sei. Neben wenigen privaten Briefen liefern Musikalien, Widmungen, amtliche Dokumente oder postum verfasste Würdigungen Anhaltspunkte zum Familienleben. Das Wohnhaus der Familie Bach ist nicht erhalten. Die Familie lebte in der Thomasschule, die bis zu ihrem Abriss 1902 direkt gegen-über der Thomaskirche stand. Thomaskirche und Bosehaus (Bach-Museum) sind die einzig erhaltenen historischen Bach-Stätten am Thomaskirchhof.

Im heutigen Bach-Museum wohnte damals die Kaufmannsfamilie Bose. Mit Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel, Johann Christoph Friedrich und Johann Christian wurden insbesondere vier Söhne Bachs bedeutende Musiker und Komponisten. Interessant ist auch Bachs Enkel, der Zeichner und Landschaftsmaler Johann-Sebastian der Jüngere; Werke von ihm sind ebenfalls Bestandteil der Sammlung. Renato Diekmann


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