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23.10.10 / Mussoloni auf dem iPhone / Der Umgang der Italiener mit ihrem Faschismus − Anders als in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-10 vom 23. Oktober 2010

Mussoloni auf dem iPhone
Der Umgang der Italiener mit ihrem Faschismus − Anders als in Deutschland

Zu Beginn des Jahres ging eine wunderliche Meldung durch die Zeitungen: In Italien sei das „i-Mussolini“ eines der beliebtesten Programme für das Mobiltelefon iPhone. Rund 1000 Hörer klickten täglich auf das Symbol mit dem stahlhelmbewehrten „Duce“ und lauschten dessen Brandreden. Ihren sorglosen Umgang mit der Vergangenheit tragen die Italiener offen zur Schau: vom Ladenverkauf von T-Shirts und Weinflaschen mit dem Porträt Mussolinis über Fußballer, die im Stadion den rechten Arm zum römischen Gruß ausstrecken, bis hin zum Pilgerrummel an Mussolinis Geburtsstätte Predappio und am Gran Sasso, wo er gefangengehalten wurde. In seinem Buch „Viva Mussolini“ geht der Schweizer Historiker Aram Mattioli der Aufwertung des Faschismus in Gesellschaft und Politik auf die Spur.

Anders als die Deutschen seien die Italiener nach dem Zweiten Weltkrieg nie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert worden. Es gab keine Kriegsverbrecherprozesse wie in Nürnberg. Unter den Tisch fielen Mussolinis Giftgaseinsatz im Äthiopienkrieg sowie die harten Besatzungsregimes in Libyen, am Horn von Afrika und auf dem Balkan, die etwa eine Million Todesopfer forderten. Bereits 1946 verfügte der kommunistische Justizminister Palmiro Togliatti eine Generalamnestie für rechtskräftig verurteilte Faschisten. Auch bürgerliche Kräfte vernachlässigten die Exzesse der Diktatur, weil sie um ihre eigene Verstrickung wussten. Die junge Republik berief sich als Fundament auf den Resistenza-Mythos, das faschistische Regime aus eigener Kraft überwunden und das Land mit der Waffe in der Hand von den deutschen Besatzern befreit zu haben. Die Erfolgsära Mussolinis in den 20er und 30er Jahren sowie der anschließende italienische Bürgerkrieg zwischen Partisanen und den Anhängern der faschistischen Republik von Salò verschwanden aus dem kollektiven Bewusstsein. Wo es nur Widerstandskämpfer gab, geriet die eigene Tätervergangenheit aus dem Blick.

In den 1980er Jahren bröckelte erstmals der antifaschistische Grundkonsens. Der bekannte konservative Historiker Renzo De Felice bestritt eine rassistische Komponente des Faschismus und forderte, die antifaschistischen Normen der Verfassung sowie das Verbot faschistischer Parteien zu streichen. Anfang der 1990er Jahre, nachdem sich Christdemokraten und Sozialisten wegen schwerer Korruptionsskandale über Nacht aufgelöst hatten, betrat der Unternehmer Silvio Berlusconi die Politbühne. Er gewann 1994 die Parlamentswahlen mit seinem Bündnis aus der liberal-konservativen Forza Italia (FI), der Lega Nord und dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI). MSI-Chef Gianfranco Fini, heute Präsident des Abgeordnetenhauses, lobte damals Mussolini als größten Staatsmann des Jahrhunderts.

Mit der Aufnahme von Alessandra Mussolini, Enkelin des Diktators, oder Mirko Tremaglia, überzeugter Salò-Veteran, machte Berlusconi den Faschismus im Parlament wieder salonfähig. Als Herr der Medienlandschaft arbeitet der Premier daran, den Unterschied zwischen Faschismus und Antifaschismus aufzuheben. Den Salò-Soldaten solle die selbe Ehre wie den Partisanen zukommen, weil beide für das Vaterland gekämpft hätten.

Mattiolis Studie ist die kritische Zeitdiagnose eines zerrissenen Landes, dessen schwieriger Umgang mit der faschistischen Vergangenheit sich nicht erst seit Berlusconi offenbart. Angenehm sachlich geschrieben verzichtet sie auf den üblichen Skandalton. Leider geht der Autor weder auf die Schwäche der Antifaschisten nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks 1989 ein noch auf die Rolle des Vatikans. Ferner verkennt er die Bedeutung Finis und seine demokratische Wandlung. Ein Bildteil und Glossar sowie das umfangreiche Literaturverzeichnis machen die Darstellung sowohl für Laien als auch Wissenschaftler lesenswert.    Sophia E. Gerber

Aram Mattioli: „Viva Mussolini! – Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis“, Schöningh, Paderborn 2010, gebunden, 204 Seiten, 19,90 Euro


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