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30.10.10 / Ignoranz, die kalt macht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Ignoranz, die kalt macht
von Wilhelm v. Gottberg

Erika Steinbach, Mitglied des Bundestages, ist am 23. Oktober in Berlin mit einem hervorragenden Ergebnis erneut im Amt der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) bestätigt worden. Dieses Ereignis kommentierte der Deutschlandfunk, Landesstudio Berlin, am gleichen Tag um 19.05 Uhr nach der Nachrichtensendung. Kommentatorin war Dorothea Jung.

Auszüge aus dem Kommentar: „Die Vertreibung der Deutschen sieht Erika Steinbach in einer Reihe mit dem Völkermord an den Armeniern, den Massakern in Jugoslawien oder in Dafur … Erika Steinbach polarisiert … Wer wissen will, warum mehrere osteuropäische Nachbarn diese Frau so wenig schätzen, sollte sich an ein paar weitere Äußerungen der Präsidentin erinnern. Zum Beispiel, dass sie meinte, die Tschechen hatten unter der NS-Herrschaft fast gar nicht gelitten, oder daran, dass sie sich im Bundestag gegen den Deutsch-Polnischen Grenzvertrag aussprach mit der Begründung: ‚Man kann nicht für einen Vertrag stimmen, der einen Teil unserer Heimat abtrennt.‘ … Wer sich auf derart missverständliche Weise zur deutschen Geschichte äußert, der darf sich nicht wundern, wenn er beim politischen Gegner zur Reizfigur wird … Dass die Verbandspräsidentin provoziert, ist nicht zu leugnen … Die gewählten Delegierten haben sich für eine Präsidentin entschieden, die nach ihren jüngsten Äußerungen zum Kriegsbeginn in der CDU weitgehend isoliert ist … Der Verband selbst steht nach den Auseinandersetzungen um die Stiftung ‚Flucht, Vertreibung, Versöhnung‘ ebenfalls heftig in der Kritik. Klar ist: Das von Erika Steinbach skizzierte Geschichtsbild wird in ein sichtbares Zeichen gegen Vertreibung nicht in der Form eingehen, wie sie es angeregt hat. Der Verband befindet sich im Abwärts. Er bräuchte dringend eine Neuorientierung. Denn die Generation der direkt Betroffenen stirbt aus. Junge Menschen, die sich für die Geschichte von Vertreibung und Heimatverlust interessieren, brauchen keine Landsmannschaften, die einen Opferdiskurs inszenieren … Einen solchen Neuanfang hat der Bund der Vertriebenen versäumt, und mit Erika Steinbach an der Spitze wird es ihn schon gar nicht geben.“

Dieser Kommentar gibt Einblick in die Ahnungs- und Geschichtslosigkeit der Kommentatorin. Sie lässt jede Sensibilität gegenüber den vertriebenen Landsleuten vermissen. Wer so schreibt, ist für die Kommentierung eines politischen Ereignisses gänzlich ungeeignet. Die radikale Ablehnung der Vertriebenen, ja Kaltherzigkeit gepaart mit dumpfer Stimmungsmache hat Frau Jung bei der Niederschrift des Kommentars die Hand geführt. Nicht Frau Steinbach provoziert, wenn sie historische Tatsachen anspricht, sondern der Vorwurf der Provokation fällt auf die Kommentatorin zurück.

Im Übrigen ist Frau Steinbach in der CDU keineswegs isoliert. Wenn einige in der Fraktion der CDU bei der hier in Rede stehenden Thematik Frau Steinbach widersprochen haben, bedeutet das keine Isolierung. Die Parteien brauchen nach innen die kontoverse Diskussion. Der BdV und seine Verbände haben immer Mitgefühl gezeigt, auch mit den nach Millionen zählenden Opfern der NS-Terrorherrschaft in den Nachbarstaaten. 50 Jahre ist nur über die Opfer geredet worden, für die Deutschland zwischen 1933 und 1945 verantwortlich ist. Erst seit etwa zehn Jahren ist es möglich, auch das zu thematisieren, was Deutschen bei Kriegsende und danach widerfahren ist. Wir brauchen keine oberlehrerhaften Belehrungen der Frau Jung, was der BdV zu tun habe, um der Opfer auf beiden Seiten zu gedenken.

Vor allem aber brauchen wir in Funk und Fernsehen keine Kommentatoren, die mit falschen und volksverhetzenden Argumenten sich dem Verdacht aussetzen, bei Karl-Eduard von Schnitzler und seinem Schwarzen Kanal in die Schule gegangen zu sein.

Wie sehr Dorothea Jung mit ihrem Kommentar danebenliegt, zeigt ein Blick in das Archiv des Westdeutschen Rundfunks. Gudrun Schmidt, seinerzeit Redakteurin beim WDR, schrieb schon vor dreizehn Jahren nachstehenden Kommentar zur Arbeit des BdV und seiner angeschlossenen Verbände. Dieser Kommentar ist auch heute noch uneingeschränkt gültig.

„Es gibt wohl kaum eif-rigere Brückenbauer zwischen dem We-sten und dem europäischen Osten und Südosten als die Heimatvertriebenen und Aussiedler. Wer schließt Freundschaft mit den Polen, den Tschechen, den Russen, den Rumänen? Wer engagiert sich am meisten, wenn Hilfsgüter organisiert werden sollen? Wer renoviert Kirchen, Baudenkmäler und Museen, richtet Schulen und Bibliotheken ein, stellt Wallfahrtsstätten wieder her, damit Polen, Tschechen und Deutsche wieder gemeinsam singen und beten können? Und wer bezahlt das alles zum größten Teil aus der eigenen Tasche? Es sind die Heimatvertriebenen, die in ihrer berühmten Charta bereits im Jahre 1950 auf Rache und Vergeltung verzichteten und sich strikt daran hielten.“


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