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30.10.10 / Warum gibt es scheinbar nur rechten Populismus?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Moment mal!
Warum gibt es scheinbar nur rechten Populismus?
von Klaus Rainer Röhl

Manche Worte können gefährlicher sein als Schlag-ringe. Solche Worte nannte man darum auch gern mal Schlagworte. Schlagzeilen zieren jeden Morgen am Kiosk die „Bild“-Zeitung. Mit Schlagworten führt auch der „Spiegel“ seinen wöchentlichen Kampf für die „Wahrheit“. Journalismus ist Agitation durch Tatsachen, sagte einst Lenin. Die „Spiegel“-Schreiber von heute haben, als Post-68er, nur noch eine dumpfe Sympathie für Lenin, und kaum eine Ahnung. Wenn sie ein Zitat über Lenin oder den Sinn des Journalismus brauchen, holen sie das aus dem Internet. Wenn der Computer nicht schnell genug ist, eine Sekunde mehr braucht, muss ein neues Programm her. Darüber machen sie sich Gedanken. Kaum darüber, ob auch ihre Zeitschrift, wie einst die Parteizeitung der russischen Bolschewisten, „Iskra“ (=Funke), nur ein „kollektiver Propagandist“ oder schon ein „kollektiver Organisator“ für die Partei ist. Denn was ist die Partei, für die der „Spiegel“ nach dem Tode Rudolf Augsteins und dem erzwungenen Auszug seines Kronprinzen, Stefan Aust, mit „Tatsachen“ kämpft? Mit dieser unübersehbaren und unkontrollierbaren Masse von Tatsachen leben die Redakteure und führen ihren wöchentlichen Kampf für das Gute, das zugleich auch das politisch „Korrekte“ war. Bis vor kurzem jedenfalls. Parteiisch ist die Redaktion des „Spiegel“ schon. Keiner der Redakteure würde das leugnen, von den beiden Chefs bis zum jüngsten Volontär. Jeder würde das für sich anders formulieren und stolz darauf sein, anders zu sein als der Redakteur im Büro nebenan, eine eigene Persönlichkeit. Aber irgendetwas hat er schon mit der ganzen Redaktion gemeinsam und das ist …? Gar nicht so einfach zu formulieren, aber zum „Focus“ würde man nur gehen, wenn man gut 1000 Euro mehr im Monat bekommt und eine „gute“ Wohnung in München, und zu „Bild“ würden sie alle überhaupt nicht gehen, es sei denn – Prestige vermindert, Gehalt verdoppelt – für Geld. Aber auch bei „Bild“ gibt es – abgebrüht hin, abgefahren her, einen Konsens, der sich nur über einen gemeinsamen Buhmann definiert, über eine vage Abscheu, die mit einem Schlagwort schnell Übereinstimmung herstellt. Eines dieser Schlagworte ist – Populist! Populisten sind die natürlichen Gegner aller guten, coolen und abgefahrenen, sonst aber ratlosen Nachgeborenen der 68er.

Was sind Populisten? Auffällig ist in den letzten Monaten die geradezu sprunghafte Vermehrung der „Populisten“. Anfangs waren es nur der österreichische Parteiführer der Liberalen, Jörg Haider, oder der ehemalige Wortführer der FDP und Wegbereiter von Westerwelle, Jürgen Möllemann. Heute ist es Thilo Sarrazin und, nach anfänglichem Zögern, auch der Parteichef der CSU, Horst Seehofer. Überall müssen Populisten entlarvt und bekämpft werden. Die „Spiegel“-Leute wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Zahllos sind in Europa, von Norwegen, Schweden, Belgien und den Niederlanden bis nach Ungarn und Tschechien, „Populisten“ beziehungsweise gleich ganze „populistische“ Parteien wie Pilze aus dem Boden geschossen und müssen von den guten Journalisten aufs Korn genommen werden.

Dabei kommt es zu grotesken Eiertänzen zwischen ins feindliche Ausland ausgesandten Reportern und den in Hamburgs Brandstwiete zurückgebliebenen Redakteuren. Die angereisten Berichterstatter waren sichtlich begeistert von Budapest, dem Glanz der deutschenfreundlichen Metropole, von der Eleganz und der Toleranz der Gesellschaft, die sich auch Festivals mit Roma-Folklore leistet. Die Redaktion aber weiß: Die Rechtspopulisten der Fidesz-Partei gewinnen 2010 im Parlament eine Zweidrittelmehrheit, die alles, auch eine neue Verfassung, möglich macht. Und nach der Kommunalwahl bekam die Hauptstadt mit dem Diplomingenieur István Tarlós erstmals auch einen Oberbürgermeister aus dem rechten Lager. Die Hamburger „Spiegel“-Redakteure waren besorgt über diese Rechtspopulisten. Doch: Gibt es nur rechte Populisten? „Links-Populisten“ sucht man in der deutschen Presselandschaft jedenfalls vergebens. Weder Gysi noch Lafontaine sind danach Populisten. So erweist sich „Populismus“ als schlichter Propaganda-Begriff. Geschaffen zum Niedermachen. Schlagt ihn tot, er ist ein Populist. Oder schweigt ihn tot.

Wie haben wir uns die wütenden Angriffe auf Sarrazin und Seehofer und den verzweifelten Kampf der „Spiegel“-Fechter gegen den „Populismus“ zu erklären? Die Erklärung liegt eigentlich auf der Hand: Das Hamburger Magazin nimmt immer noch die einst von seinem Gründer Rudolf Augstein in Lizenz der britischen Militär-Regierung selbstgestellte Aufgabe wahr, das deutsche Volk zu erziehen. Das ging lange gut. Aber plötzlich – nach 65 Jahren – wollen die Deutschen nicht mehr erzogen werden. Das hat auch wirtschaftliche Gründe.

Eine ziemlich große Zahl von Deutschen, ungefähr ein Drittel, ist unzufrieden mit der Politik. Mit der Politik der Regierungsparteien. Aber auch mit der SPD. Die Volksparteien bröckeln. Was tun? Sollen die Redakteure nun für Sarrazin Partei nehmen und für seine nicht mehr zu ignorierenden Anhänger, die vorerst nur in der Buchhandlung abgestimmt haben?

Mindestens 35 Prozent aller Deutschen geht es schlecht, mit steigender Tendenz, trotz gutem Dax. Sie sind arbeitslos oder Klein-Rentner oder haben nur einen wackeligen Job und keine richtigen Aussichten und kein Geld mehr in Reserve. Sie sehen für sich und die Zukunft schwarz. Sind diese Mitbürger eigentlich dumm? Im Gegenteil. Sie sind ohne Illusionen und deshalb hellhörig.

Dumm und gleichgültig sind eher die gut oder halbwegs gut Verdienenden, sie lassen sich leichter verführen vom schönen Schein der Worte und Kontoauszüge. Die Nutznießer der Drittel-Gesellschaft sind leichtfertig und kurzsichtig. Erst wenn sie auf den Bauch fallen, werden sie wehleidig. Viele da unten sind aufmerksamer, misstrauischer, klüger. Sie leben bewusster.

Weil sie dauernd aufpassen müssen, bei jedem Einkauf und jedem Schluck Kaffee, den sie trinken, und jedem Lichtschalter, den sie anknipsen. Sie leben von 967 Euro Rente (statistischer Durchschnitt) bei 500 Miete und Strom und anderen Nebenkosten. Sie leben von Schulden oder von dem bisschen Vermögen, das sie noch von früher haben, oder von ihren Eltern oder ihrer Frau. Aber sie leben von Tag zu Tag schlechter. Ihre Kinder und Enkelkinder auch. Manche leben sogar nur von Hartz IV.

Die Mitte bröckelt. Heizkosten, Stromkosten, Arzneimittel, Krankenkassen – die ganze Lebenshaltung wird teurer. Die Zahl derer da unten wächst. Sie haben jeden Tag mehr Wut im Bauch und glauben immer weniger dem Fernsehen, dem Radio und den Zeitungen. Sie glauben nicht mehr, dass Angela Merkel konservativ ist und national denkt. Oder dass SPD-Chef Gabriel die soziale Gerechtigkeit will. Sie wählen weder Gysi noch die NPD. Sie sind die zukünftigen Wähler einer demokratischen Rechten, die mit dem Totschlagwort „Populismus“ nicht mehr zu stoppen sein wird.

Klaus Rainer Röhl erreichen Sie unter klausrainer@gmx.de


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