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30.10.10 / Aufbruch aus der Mongolei / Das Erste Goktürkische Reich (552 bis 659) – PAZ-Serie über die Geschichte der Türken (Teil 1)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Aufbruch aus der Mongolei
Das Erste Goktürkische Reich (552 bis 659) – PAZ-Serie über die Geschichte der Türken (Teil 1)

Die Türken, ursprünglich zentral­asiatische Nomaden, haben eine expansionistische Tradition. Ihr 552 gegründetes Türkisches oder Göktürkisches Reich war das erste historisch gesicherte Großreich in Zentralasien. Es erstreckte sich zeitweise vom Kaspischen Meer bis zur Mandschurei.

Etliche zentralasiatische Nomadenvölker sind im Laufe der Geschichte weit nach Westen und Osten gedrungen. Aufgrund der Nomadenwirtschaft waren diese Völker zum ständigen Standortwechsel gezwungen. Hieraus ergab sich eine starke Mobilität. Ihr Lebensraum, die baumlose Steppe, war im Norden durch die Taiga und im Süden durch die Wüste begrenzt. In West- und Ostrichtung gab es jedoch keine vergleichbaren natürlichen Grenzen. Vielmehr reichte die Steppe im Westen bis nach Ungarn und im Osten bis zur Mandschurei. Von daher  expandierten die frühen Türken aus ihrem wahrscheinlichen Ursprungsgebiet im Westen der heutigen Mongolei (in der Karte hellblau) gleichsam auf dem selben Breitenkreis vor allem nach Osten und Westen. Die größten militärischen Stärken der Nomadenvölker waren der geschickte Umgang mit Pferden sowie mit Pfeil und Bogen. Zusammen mit ihrer Mobilität machte sie beides zu gefürchteten Gegnern. Einige Autoren meinen, dass sie außerdem wegen ihrer gesünderen Lebensweise einen größeren Bevölkerungsüberschuss hervorbrachten als ihre sesshaften Nachbarn.

Zu diesen mobilen und expansiven zentralasiatischen Nomadenvölkern gehörten auch die Turkvölker. Als deren ursprüngliches Herkunftsgebiet wird das Altaigebirge im Westen der Mongolei vermutet (auf der Karte im Zentrum des hellblauen Bereichs). Die Turkvölker bildeten eine eigene Sprachfamilie und unterschieden sich von anderen zentralasiatischen Nomaden durch die besondere Fähigkeit zur Eisenverarbeitung. Die Berichte über die Turkvölker lassen sich in chinesischen Quellen bis ins 2. bis 3. nachchristliche Jahrhundert zu­rück­verfolgen. Ihr erster namentlich bekannter Herrscher war Bumin. Unter seiner Herrschaft befreiten sich die Turkvölker im 6. Jahrhundert von der Herrschaft der Juan-Juan (Rouran), einer Föderation von Nomandenstämmen in der heutigen Mongolei.

Vorausgegangen war dem der Versuch des Volkes der Gaoche, sich seinerseits von der Juan-Juan-Herrschaft zu befreien. Dieser Versuch des Jahres 546 scheiterte jedoch daran, dass der Juan-Juan-Herrscher A-na-kuei türkischerseits rechtzeitig gewarnt worden war. Wohl als Zeichen des Dankes wollte Bumin nun A-na-kueis Schwiegersohn werden. Der gab Bumin jedoch einen Korb mit der Begründung, dass der Türke als Angehöriger eines Stammes, der den Juan-Juan als Schmiedesklaven diente, nicht standesgemäß sei. Bumin reagierte auf diese Kränkung, indem er 552 mit seinen Türken die Juan-Juan vernichtend schlug. Anschließend gründete er das Erste Türkische beziehungsweise Göktürkische Reich. Was der Vater schuf, vergrößerte der Sohn. Muhan unterwarf in seiner Regierungszeit von 553 bis 572 zahlreiche benachbarte Völkerschaften. Sein Einflussgebiet erstreckte sich schließlich von den Grenzen des nördlichen Korea im Osten über die Wüste Gobi und den Baikalsee bis zum Schwarzen Meer im Westen.

Zum Problem der türkischen Herrschaft entwickelte sich eine Tradition, die eigentlich der Machtsicherung dienen sollte. Es war Brauch unter nomadischen Herrschern, nächste männliche Verwandte als Fürsten oder Gouverneure in den entfernter liegenden Gebieten einzusetzen. Sie genossen beträchtliche Unabhängigkeit, solange sie den Herrscher anerkannten und dessen Entscheidungen in allen Fragen der Außenpolitik respektierten. Das System bot den Vorteil, dass es eine flächendeckende Präsenz der herrschenden Dynastie ermöglichte. Die Beschäftigung potenzielle Nachfolger des Herrschers in der Verwaltung entlegener Gebiete verschaffte ihnen Erfahrung für eine spätere Regierungsübernahme, lenkte sie aber auch – so die Hoffnung – von Verschwörungen gegen den Herrscher ab. Das System hatte aber auch Nachteile. Die weitgehenden Vollmachten der Statthalter begünstigten Reichsteilungen.

Ein konkretes Beispiel ist das Schicksal des Ersten Türkischen Reiches. Bereits frühzeitig scheint es in eine Ost- und eine Westhälfte geteilt worden zu sein. So regierte Bumins ältester Sohn Muhan de facto nur den Ostteil. De jure war er auch Khan des westlich des Altai gelegenen Teils, aber tatsächlich herrsch­te dort als sein Statthalter Bumins jüngerer Bruder Istämi. Bis zum Tod von Muhans Nachfolger Taspar 581 sollte das Reich noch zusammenhalten, doch unter dessen Bruder und Nachfolger Nivar kam dann die Spaltung. Zu persönlichen Rivalitäten zwischen Khan und Statthalter kam ein Glaubensstreit. Denn nicht der gesamte Herrscherclan war bereit, wie Taspar den buddhistischen Glauben anzunehmen. Taspar hatte nicht nur dem buddhistischen Mönch Jinagupta Zuflucht vor chinesischer Verfolgung gewährt, sondern auch zwischen 572 und 581 eine buddhistische Mönchsgemeinde begründen lassen, was als Bekenntnis des Khans selbst zum Buddhismus interpretiert wurde.

584 erklärte der damalige Statthalter der westlichen Reichshälfte, Istämis Sohn und Nachfolger Tardu, seine Unabhängigkeit und nahm selbst den Herrschertitel eines Khan an. Ermutigt wurde der neue Khan zur Abspaltung durch den chinesischen Kaiser Wen. Überhaupt erwies sich die Politik des Teilens und Herrschens, das die chinesischen Kaiser gegen­über ihren türkischen Nachbarn anwendeten, als folgenreich. Sie förderten nicht nur kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Westtürkischen und dem Osttürkischen Reich, sondern auch Machtkämpfe innerhalb der ehemaligen Reichshälften.

Die Expansion des chinesischen Kaiserreiches unter der ab 618 regierenden Tang-Dynastie beendete zunächst die frühe Expansion der Türken. Kaiser Taizong gelang es nicht nur, im Jahre 624 einen osttürkischen Angriffes mittels eines Bluffs abzuwehren, sondern auch den osttürkischen Khan Xieli in seine Gewalt zu bringen. Im Jahre 630 war damit das Ende des Osttürkischen Reiches besiegelt.

Wenige Jahrzehnte später ging auch das Westtürkische Reich nach einem Sieg der Chinesen unter. Und auch dort sind die Ursachen in eigener Uneinigkeit und einem aufstrebenden Nachbarn, eben in Form des chinesischen Kaiserreiches der Tang-Dynastie zu sehen. Nach dem Tod des Khans T’ung-shih-hu 630 während eines Aufstandes des Stammesverbandes der Karluken brachen zwischen den westtürkischen Stämmen Machtkämpfe aus. In ihrer Folge gelang es dem Kaiser von China, erst das Territorium des Westtürkischen Reiches in zwei chinesische Protektorate umzuwandeln, um es dann zwei Jahre später 659 ganz zu erobern. Das war das Ende des Ersten Türkischen Reiches.

Übrigens hatten die Europäer womöglich bereits zu diesem Zeitpunkt Erfahrungen mit den Türken gemacht: Viele Forscher rechnen die Hunnen, die keine Schriftzeugnisse hinterließen, zu den Turkvölkern.             Manuel Ruoff


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