20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.10.10 / Konsequent unbequem / Peer Steinbrück listet prägnant und unterhaltsam Fehlentwicklungen auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Konsequent unbequem
Peer Steinbrück listet prägnant und unterhaltsam Fehlentwicklungen auf

Wenn Thilo Sarrazin die SPD schon mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ verärgert hat, so hätte Peer Steinbrück das mit „Unterm Strich“ eigentlich viel mehr tun müssen. Doch die Partei, die von Steinbrück aufs herrlichste hinterfragt wird, kann es sich wohl schlicht nicht leisten, den in der Bevölkerung immer noch beliebten ehemaligen Finanzminister anzugreifen.

Es ist eine unsagbare Freude, „Unterm Strich“ zu lesen. Man möchte erschreckend oft applaudieren und ausrufen „Ja, ja, genau so ist es“, wenn der Autor über die Fehler im System der Bundesrepublik Deutschland und bei den Parteien schreibt. Steinbrück, der für seine scharfe Zunge bekannt ist, schafft es, selbst abstrakte Themen spannend zu bearbeiten. Leider muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass da nicht einer „von uns“ schreibt, sondern eben jemand, der Jahre lang als SPD-Mitglied, Landesminister, Bundesfinanzminister und heute noch als Bundestagsabgeordneter genau die Zustände, die er kritisiert, mit herbeigeführt hat. Doch zu Steinbrücks Verteidigung: Zum Missfallen seiner Partei hat er immer wieder öffentlich Kritik an bestimmten Entwicklungen und Entscheidungen geübt. „Unterm Strich“ ist also nicht die Abrechnung eines von Amt und Würden weitgehend verdrängten Politikers, sondern eine kompakte Auflistung dessen, was ihn schon immer gestört hat.

Und so stört ihn beispielsweise die jetzige Struktur und die Qualität des handelnden Personals der Europäischen Union. Nicht nur, dass er die Aufgabenverteilung und Machtbefugnisse kritisch beäugt, auch viele Entscheidungen versteht er einfach nicht. Wieso investiert eine Gemeinschaft, die 2000 betont hat, 2010 die fortschrittlichste Region der Welt sein zu wollen, 42 Prozent ihres Etats in die Landwirtschaft statt in Bildung und Forschung? Auch hätte er gerne gewusst, wieso die immer islamischer werdende Türkei unbedingt in die EU muss und wieso Brüssel nicht die wirtschaftlichen Folgen aufzeigt. Und auch der deutsche Föderalismus wird von Steinbrück stark kritisiert. „Der Interessenausgleich im deutschen Föderalismus ähnelt längst einem Basar“, klagt er und zeigt die Folgen dieser Fehlentwicklungen auf.

Auch bereitet es ihm Sorge, dass die Leistungsstarken in der Gesellschaft kaum eine Lobby hätten. In Gremien und Ortsverbänden der Parteien säßen überwiegend Menschen mit viel Zeit, die aber mit dem wahren Leben kaum Kontakt hätten. Diese Leute, die einen nicht sehr repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft bildeten und deren Auffassungen sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert hätten, würden wichtige Entscheidungen treffen. Und ganz übel wird ihm, wenn er sieht, welchen Nachwuchs die Parteien nach oben kommen lassen. Sehr oft habe er vielversprechende Kandidaten scheitern sehen, weil sie Quereinsteiger waren, eine eigene Meinung und keine Parteikarriere hatten.

Desweiteren hinterfragt er die Zukunftsfähigkeit der deutschen Sozialsysteme, räumt mit der Mär auf, die Reichen würden in Deutschland zu wenig Steuern zahlen, und zeigt die Folgen der hohen Abgabenlast auf. Auch erklärt er, warum er das jetzige System von Kindergeld und Kinderfreibetrag für falsch hält. Zum Missvergnügen seiner Partei wandelt er sogar auf Sarrazins Spuren, indem er die Fehler der Zuwanderung darstellt und betont, dass 70 Prozent der Türken keinen Berufsabschluss hätten.

Steinbrück lästert über die von seiner Partei initiierte Rentengarantie, geht auf die Folgen der Finanzkrise ein, regt sich über sogenannte Finanzexperten auf, die seine Arbeit als Finanzminister behindert hätten, und spart bei allem nicht mit deftigen Worten und beißender Ironie. Gefressen hat Steinbrück auch die sogenannten „Sopos“, jene Sozialpolitiker, welche die Hauptaufgabe des Staates in der Umverteilung sehen, egal ob diese Umverteilung Sinn hat oder finanzierbar ist. Und auch die Jusos mit ihren marxistischen Thesen verursachen bei Steinbrück massives Bauchgrimmen. Und er fragt: „Wie nahe stehen die Jusos ideell, politisch und mit ihren Partizipationsangeboten den Jugendlichen in Schulen, Universitäten und Vereinen?“    Rebecca Bellano

Peer Steinbrück: „Unterm Strich“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2010, gebunden, 477 Seiten, 23 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren