28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.11.10 / Es rumpelt ordentlich in der EU / Die Ungleichgewichte in Europa bleiben das kaum lösbare Hauptproblem für einen harten Euro

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-10 vom 06. November 2010

Es rumpelt ordentlich in der EU
Die Ungleichgewichte in Europa bleiben das kaum lösbare Hauptproblem für einen harten Euro

Auf dem EU-Gipfel Ende Oktober kämpfte Angela Merkel mit Macht für eine neue Euro-Krisen-Architektur. Von Stimmrechtsentzug für Defizitsünder, automatischen Strafen und vielem mehr war die Rede. Herausgekommen ist ein „Prüfungsauftrag“ zur gezielten Änderung der EU-Verträge zum Schutz der Währung.

25 Telefongespräche soll es die Bundeskanzlerin gekostet haben, um ihren EU-Kollegen im Vorfeld des Gipfels die brisante Lage zu erläutern. Dabei ließ sie auch nicht unerwähnt, dass Deutschland der größte Zahler im EU-Haushalt und beim Euro-Rettungsschirm ist. Doch die Ergebnisse des Gipfels erscheinen mager. Der Stimmrechtsentzug sowie automatische Sanktionen für Haushaltssünder waren schon nach dem Strandspaziergang mit Frankreichs Präsident Nikolas Sarkozy vom Tisch. So wird weiterhin eine Jury von Defizitsündern über die eigenen Strafen zu entscheiden haben. In den letzten zehn Jahren wurde deswegen keine einzige Strafe verhängt. Schockiert reagierten besonders die Stabilitätsanhänger aus Nordeuropa, erleichtert dagegen die Krisenländer aus dem Süden und Westen des Kontinents.

Der einflussreiche Merkel-Gegner, der luxemburgische Ministerpräsident Claude Juncker, Chef der 16 Euro-Länder, wollte zuerst gar nicht über einen Stimmrechtsentzug für notorische Defizitsünder reden. Nun zeigte er sich froh, dass das Thema „vom Tisch und auf die lange Bank“ geschoben ist. Gleichwohl wäre ein fest verankerter Krisenmechanismus – bis hin zur geregelten Insolvenz einzelner Länder – für die Stabilität des Euro und damit die Wirtschaft Europas fundamental.

Das „Insolvenzrecht für Staaten“, das es bisher nicht gibt, soll nach den Brüsseler Beschlüssen aber nun entwickelt werden. Auch private Gläubiger wie Banken will man heranziehen und einen Fonds gründen. Dieser soll im Falle eines Falles zur Abdeckung von Schulden insolventer Staaten herangezogen werden.

Ob diese Pläne einmal Wirklichkeit werden, bleibt zweifelhaft. Zehn Jahre dauerte es, bis der Lissabon-Vertrag alle Hürden genommen hatte. Volksabstimmungen in einigen Ländern können auch jetzt wieder den mühsam ausgehandelten Kompromiss zu Fall bringen. Soviel Zeit hat Angela Merkel aber nicht, da Deutschland bisher mit den größten Beträgen beim Euro-Rettungsschirm geradestehen muss. Und niemand kann derzeit genau sagen, wie man einen insolventen Staat abwickeln sollte. Wenn nichts geschieht, nimmt das europäische Drama darum seinen Lauf. Es trägt alle Kennzeichen und die Unausweichlichkeit einer griechischen Tragödie.

Für die marginale Bereitschaft einer Änderung der EU-Verträge hat die Bundeskanzlerin bereits zwei wichtige Opfer (Stimmrechtsentzug und automatische Sanktionen) gebracht. Die EU-Partner aber haben ihr die Geltung des EU-Rettungsschirmes über das Jahr 2013 hinaus abgetrotzt. Angesichts der gewaltigen Summen dieses Fonds (750 Milliarden Euro) wird vielen Politikern hierzulande angst und bange. Die Schuldenkrise im eigenen Land ist noch keinesfalls bewältigt und die Bundeskanzlerin kann keine Scheckbuch-Politik wie noch Helmut Kohl betreiben. Gewaltige Beträge stehen beispielsweise noch aus dem Bankenrettungsfonds im Risiko. Der deutsche Staat ist mit fast zwei Billionen Euro deutlich höher verschuldet als es die europäischen Defizitkriterien erlauben: Anfang 2010 betrug die öffentliche Verschuldung 73,2 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, erlaubt sind aber nur 60 Prozent. Europa droht zu einem Fass ohne Boden zu werden – und das eigene Land ebenfalls.

Genau diese übermäßigen Schulden sollen jedoch in Zukunft der Maßstab für eventuelle Sanktionen werden. Nicht mehr das aktuelle Haushaltsdefizit eines Jahres, sondern die Gesamt-höhe der Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll 60 Prozent nicht überschreiten. Wer die Grenze überschreitet, soll mit automatischen Sanktionen rechnen müssen. Nur eine qualifizierte Mehrheit (der Länderstimmen und 74 Prozent der gewichteten Stimmen) soll solche Sanktionen verhindern können. Damit wird die bisherige Praxis umgedreht. Da derzeit bisher fast alle Länder Europas diese Grenze überschreiten (80 bis 130 Prozent), dürften alle vereinbarten Mechanismen an der Realität scheitern.

Dass viele europäische Staats- und Regierungschefs den Ernst der Lage noch nicht erkannt hatten, zeigte sich im Vorfeld des Gipfels. Verärgert reagierten viele Staatschefs auf den deutsch-französichen Vorstoß und fühlten sich zurückgesetzt. Den Alleingang Deutschlands und Frankreichs fand EU-Chef Juncker „schlicht unmöglich“. Es rumpelte ordentlich in der Europäischen Union. Die „Eiserne Kanzlerin“ war in aller Munde und sorgte auch innenpolitisch für Ärger. Nicht nur die Opposition, sondern auch der liberale Koalitionspartner hätte gerne die automatische Bestrafungsregelung für Euro-Sünder gesehen.

Sitzt also Deutschland bereits  in der „Euro-Falle“ oder hat es doch substanzielle Fortschritte beim Gipfel von Brüssel gegeben? Außer Prüfaufträgen und Absichtserklärungen für weitere Verhandlungsrunden ist derzeit nichts entschieden. Ein langes und hartes Ringen steht den 27 EU-Ländern bevor. Dabei dürfte das wirtschaftliche Ungleichgewicht in euroäischen Ländern weiter das Hauptproblem eines nicht lösbaren Konfliktes bleiben. Genau davor hatten anerkannte Ökonomen bei der Einführung des Euro laut und deutlich gewarnt. Hinrich E. Bues


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren