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06.11.10 / »Bruderkrieg« der Parteien / Polen: 100 Tage Präsident Komorowski − Kaczynski schmollt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-10 vom 06. November 2010

»Bruderkrieg« der Parteien
Polen: 100 Tage Präsident Komorowski − Kaczynski schmollt

Bronislaw Komorowski, am 6. August als Präsident Polens vereidigt, muss die erste Politiker-Prüfung nach 100-tägiger Amtszeit nicht fürchten. Laut jüngsten Umfragen ist nur Jerzy Buzek, der aus Polen stammende Präsident des Europa-Parlaments, populärer als er. Dafür rangiert er vor Premier Donald Tusk. Beider Erfolg und der ihrer liberal-konservativen „Bürgerplattform“ (PO) hat die politischen Konkurrenten, Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski und seine „Recht und Gerechtigkeit“-Bewegung (PiS), zu wilden Rundumschlägen getrieben: Als im Oktober ein Geisteskranker einen Anschlag auf das PiS-Büro in Lodz verübte und dabei einen Funktionär tötete, sah Kaczynski das als Resultat einer „Hasskampagne“, die Tusk und Komorowski gegen ihn und die PiS führten. Die Öffentlichkeit nahm diese Anklage als Bestätigung des alten Witzes: „In der PiS machen Paranoiker Karriere, in der PO Gewitzte!“

Ein solcher Gewitzter ist Komorowski, 1952 in Schlesien geboren, nach 1980 Soldiarnosc-Aktivist, nach 1989 Politiker und Parlamentarier, zuletzt Marschall des Sejm, also Parlamentspräsident. Im Wahlkampf brachte er Mitbewerber Kaczynski zur Weißglut. Die Öffentlichkeit amüsierte sich über seine witzigen Apercus, als er zum Beispiel Studentinnen auf die Frage, warum er Damen die Hand küsse, Bescheid gab: Irgendwo muss man doch anfangen.

Pointen sind nur Dreingaben zu einer generell erfolgreichen Politik, wie sie die PO seit nunmehr drei Regierungsjahren betreibt. 2009 war Polen das einzige EU-Land, dessen Wirtschaft (um 1,7 Prozent) wuchs, Aktuell 2010 übertrifft das Wachstum mit 3,5 bis vier Prozent alle Prognosen. Die Arbeitslosigkeit stieg nach dem Krisenjahr 2009 nur leicht von 10,9 auf 11,5 Prozent an. Der Außenhandelsumsatz betrug von Januar bis August 157 Milliarden Euro, 25 Milliarden mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Ein rundes Viertel dieses Handels wickelt Polen mit Deutschland ab, seinem bei weitem wichtigsten Partner. Für Komorowski kann das so weitergehen, denn er ist kein sturer Deutschen- und Euroskeptiker wie sein Vorgänger, der im April bei der Flugzeugka-tastrophe von Smolensk umgekommene Lech Kaczynski.

Wie Komorowski ist, zeigte sich Anfang September, als er bei seinem Berliner Antrittsbesuch das französisch-deutsch-polnische „Weimarer Dreieck“ wiederbelebte, das 1991 gegründete Konsultationsforum, das im April seine Selbstauflösung wegen „Nichtbeachtung seiner Arbeitsergebnisse“ beschloss. Davon ist nun keine Rede mehr, vielmehr soll das Dreieck 2011 mit einem Dreiländer-Gipfel erneut durchstarten. Die alten Ziele, Polens Weg in EU und Nato zu ebnen, sind erreicht, in der zweiten Jahreshälfte 2011 wird Polen die EU-Präsidentschaft innehaben und kann neue Ziele mit alten Partnern angehen: auch als relatives Boomland weiterhin 67 Milliarden Euro jährlich aus den EU-Ausgleichsfonds zu beziehen und 2500 polnische Soldaten aus Afghanistan zurückzuholen. Seit 2001 kämpfen sie dort.

Daheim hat Komorowski in vier Anläufen kein Versöhnungsgespräch mit Kaczynski zustande gebracht, weil der sich im Sejm verschanzt und über das „aggressive Niveau in Polens Politik“ lamentiert. Polens Medien beklagen den „Bruderkrieg“ zwischen PiS und PO, die beide aus dem antikommunistischen Widerstand kommen und kaum programmatische Differenzen aufweisen, aber desto mehr persönliche.    Wolf Oschlies


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