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06.11.10 / Generaldirigent des Städtebaus in Berlin / Der Architekt Martin Wagner aus Königsberg gab nachhaltige Anstöße für die moderne Stadtplanung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-10 vom 06. November 2010

Generaldirigent des Städtebaus in Berlin
Der Architekt Martin Wagner aus Königsberg gab nachhaltige Anstöße für die moderne Stadtplanung

Es muss nur groß sein, muss was darstellen und muss Geld kosten und muss sich gut fotografieren lassen.“ Diese Worte des Architekten und Städteplaners Martin Wagner sind keineswegs auf heutige Bausünden gemünzt, vielmehr bezog sich Wagner mit seiner Kritik auf das Berliner Hansa-Viertel, ein im Rahmen der Internationalen Bauausstellung „Interbau 57“ in lockerer Bauweise unter Mitwirkung zahlreicher namhafter Architekten entstandenes Wohnviertel im Tiergarten. Wagner selbst hatte sich durch seine Planungen und Entwürfe als Berliner Stadtbaurat (1926–1933) vor allem im sozialen Wohnungsbau einen Namen gemacht. Er wollte mit Wohnraum nicht allein ein Dach über dem Kopf schaffen, sondern vielmehr einen „Regenerator der physischen Arbeitskraft, die täglich in den Fabrikräumen verbraucht wird“. Anders als in den Mietskasernen des 19. Jahrhunderts waren in den neuen Wohnungen Bad, Toilette und Zentralheizung Pflicht. Die Grundrisse orientierten sich am Ideal der Kleinfamilie, es gab getrennte Zimmer für Wohnen und Schlafen, es gab Balkon oder Loggia. Düstere Hinterhöfe sollten der Vergangenheit angehören, die Anlagen waren hell, die Bewohner sollten in den Grünanlagen Erholung finden.

In Zusammenarbeit mit dem Architekten Bruno Taut entstand ab 1925 in Berlin-Britz die Hufeisensiedlung, die als Meisterstück Wagners gilt. Sie zeichnet sich durch eine geschlossene Randbebauung an der Straße, große Freiflächen und eine einheitliche Gestaltung aus. Mit einem Abstand von 30 Jahren schrieb Wagner über die Hufeisensiedlung: „Ich scheue mich heute nicht zu sagen, dass es ein städtebauliches, wie ökonomisches Glanzstück der 20er Jahre war, aber – heute der Vergangenheit angehört! Die Zeit hat uns nicht nur 30 Jahre älter gemacht, sondern auch 30 Jahre vorwärts gebracht … in Richtung eines Städtebaus, der wirklich soziologisch-ökonomisch-morphologische ,Stadtschaften‘, aber nicht ,Schlafschaften‘ erbaut.“ Dass seine Hufeisensiedlung allerdings noch einmal 50 Jahre weiter von der Unesco zum erhaltenswerten Weltkulturerbe ernannt werden würde, hat sich Martin Wagner ganz gewiss nicht träumen lassen.

Der Königsberger Martin Wagner, der vor 125 Jahren, am 5. November 1885, in der Pregelstadt geboren wurde, hatte sein Handwerk von der Pike auf gelernt. In Berlin und Dresden studierte er Architektur und Städtebau an der Technischen Hochschule und schloss sein Studium als Diplomingenieur ab. Seine erste Stelle bekam er in der Hochbauabteilung der Gemeinde Berlin-Weißensee. Nach einer Anstellung in Hamburg wurde er Leiter des städtischen Bauamts in Rüstringen (heute ein Teil von Wilhelmshaven). Ab 1914 war er beim Verband Groß-Berlin als Atelierleiter tätig. 1915 legte er seine Dissertation „Das sanitäre Grün der Städte“ vor, ein Problem, das ihn auch in der praktischen Arbeit beschäftigte. Noch 1918 wurde Wagner als Soldat eingezogen und an die Westfront geschickt.

Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte der Architekt zunächst als Stadtbaurat von Schöneberg (damals noch nicht zu Berlin gehörend), dann als Geschäftsführer der Deutschen Wohnungsfürsorge AG. 1926 wurde er zum Stadtbaurat von Berlin gewählt. Dieses Amt hatte er bis zu seiner Emigration 1933 inne. In diesen Jahren entstanden in Zusammenarbeit mit namhaften Architekten der Zeit neben der Hufeisensiedlung, die Siedlung Eichkamp, die Waldsiedlung Onkel-Toms-Hütte in Zehlendorf, das Strandbad Wannsee und das Bad am Müggelsee.

„Der Städtebau einer Weltstadt“, so erläuterte Wagner 1929 in einem Vortrag seine Visionen, „braucht sein Orchester von Architekten und Künstlern. Der Generaldirigent des Berliner Städtebaus kann immer nur Dirigent und nicht selbst eigener Künstler aller städtebaulichen Aufgaben sein. Ich habe es immer als meine vornehmste Aufgabe angesehen, für die großen Bauaufgaben Berlins die namhaftesten Künstler als tätige Mitarbeiter heranzuziehen und ihre Begabungen zu einem Orchester zusammenzustellen … Der Dirigent kann überdies wechseln, die Partitur der Weltstadt aber will weitergespielt werden. Wir brauchen eine Art Tradition in der Arbeit auch in unserem kurzlebigen Zeitalter, und diese Tradition zu wahren, ist die Aufgabe der mit tätigen Künstlerschaft.“

Als 1933 Käthe Kollwitz und Heinrich Mann aus der Akademie der Künste abberufen wurden, protestierte Wagner vehement und legte seine Mitgliedschaft nieder. Nach den Wahlen im März wurde er als einer der ersten aus seinem Amt entlassen. Um seine Familie ernähren zu können, musste er sein Haus in der Siedlung Eichkamp verkaufen. Unter dem Namen seiner Frau veröffentlichte er noch einige Artikel in der „Deutschen BauZeitung“, dann aber war es Zeit, Deutschland zu verlassen. Hans Poelzig hatte in der Türkei sondiert, ob es dort für Wagner berufliche Möglichkeiten gebe. Die türkische Regierung sagte zu, ihn als Berater in Stadt- und Landesplanungsfragen einzustellen. Da ihm das Geld für die Fahrt fehlte, sammelte eine Gruppe junger Architekten untereinander die Fahrtkosten. 1936 traf Wagner in der Türkei ein. Die Arbeit in Istanbul und ab Dezember 1937 in Ankara war nicht sehr befriedigend. Als Leiter des gesamten Städtebaus in der Türkei verfügte er in seinem Büro kaum über Mittel und Fachkräfte.

Walter Gropius, der inzwischen an der Harvard-Universität lehrte, gelang es, für Martin Wagner dort ebenfalls einen Lehrstuhl zu erlangen. 1944 wird der Königsberger Bürger der USA und ein Jahr später zum Mitglied der „American Academy of Arts and Sciences“ gewählt.

Eine Rückkehr nach Deutschland wurde unmöglich, da Wagner zum einen immer streitbarer wurde und die dortigen Kollegen zum anderen sehr zurückhaltend waren, manche sogar geradezu bösartig. Immer wieder wurde im Zusammenhang mit Wagner das nicht mehr aus der Welt zu schaffende Gerücht kolportiert, er habe Berlin in Trümmern liegen lassen wollen, um es irgendwo in Brandenburg oder in der Lüneburger Heide wieder aufzubauen. Im Begriff, die Auseinandersetzungen vor Ort zu führen, starb Martin Wagner am 28. Mai 1957 in Cambridge/Massachusetts.     Silke Osman


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