20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.11.10 / »Sie wollen, dass wir abhauen« / Die Christenverfolgung im Irak hat wieder zugenommen – »Die Regierung tut nichts dagegen«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

»Sie wollen, dass wir abhauen«
Die Christenverfolgung im Irak hat wieder zugenommen – »Die Regierung tut nichts dagegen«

Der Exodus der Christen aus dem Irak, wo seit dem 1. Jahrhundert Christen leben, geht weiter. Nach jedem brutalen Übergriff packen Tausende die Koffer – zuletzt nach dem Massaker in einer Kirche in Bagdad, wo 46 Gläubige ermordet wurden.

Pater Athir und Pater Wassim unterbrachen die Messe zum Allerheiligentag und drängten 50 Gläubige in einen Nebenraum. Der Priester Wassim stellte sich im Altarraum der „Sayidat al-Nejat Syriac Christian Cathedral“ im Herzen Bagdads den muslimischen Eindringlingen einer schwer mit Kalaschnikows und Granaten bewaffneten Terrorgruppe entgegen und versuchte, sie zu einem Dialog zu bewegen. Eine schnelle Kugel beendete sein Leben. Eine Maschinengewehrsalve streckte einige Flüchtende nieder, der Rest der Gläubigen wurde als Geiseln genommen und später blutig befreit.

Der Schock in den irakischen Christengemeinden über das Massaker, das 46 Menschenleben auslöschte und 60 Gläubige verwundete, sitzt tief. Seither packen wieder ganze Scharen von Christen ihre Koffer, ein neuer Massenexodus hat begonnen.

Bassam Yusef beispielsweise, einer der wenigen Überlebenden des Massakers, bat entnervt um politisches Asyl in den USA: „Ich wollte nie weg, jetzt aber so bald wie möglich!“ Auch bei seinen Glaubensbrüdern grassiert seit neustem das geflügelte Wort: „Es ist besser, die Koffer zu packen und den Irak zu verlassen, als die Welt in einem Sarg.“

Seit Jahren sind die meist chaldäischen oder assyrischen Christen Zielscheibe von Attacken, Demütigungen, Vergewaltigungen und Zwangsehen ihrer jungen Töchter. Sondersteuern, Mord, Folter, Zerstörung von Eigentum und Vertreibung sind an der Tagesordnung. Inzwischen zählen die Todesopfer nach Hunderten, Tausende wurden aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat gescheucht. Vikar Pius Kasha von den syrischen Katholiken bringt es auf den Punkt: „Sie wollen, dass wir abhauen und die Regierung unternimmt dagegen absolut nichts.“

Vor dem Einmarsch der alliierten Truppen gab es im Irak rund 60000 seiner Glaubensbrüder, jetzt sind es nur noch 20000. Der Bevölkerungsanteil der Katholiken fiel von 2,9 auf 0,9 Prozent, bestätigt Erzbischof Louis Sako in Kirkuk. Noch vor 100 Jahren war jeder vierte Iraker Christ.

In Mosul im Nordirak wurden allein 2008 rund 40 Christen getötet, 12000 flohen, nachdem sie durch Lautsprecherwagen dazu aufgefordert worden waren und eine Welle der Gewalt über die Provinz schwappte. Nur ein Beispiel: 2004 wurden in Mosul Christen geköpft, das Video der Bluttat wurde straffrei auf dem öffentlichen Markt feilgeboten.

Eine islamistische Internetseite berief sich direkt nach dem jüngsten Gemetzel in Bagdad auf die Untergrundorganisation „Islamischer Staat des Irak“ (ISI) und übernahm die Verantwortung für die Erstürmung des „schmutzigen Baus der Götzenanbetung“. ISI ist mit Al-Kaida eng verbunden und betreibt unter dem Vorwand, Christen würden Muslimen das Land stehlen, systematisch Völkermord.

Eine totale Verdrehung der Tatsachen: Das Christentum ist im Zweistromland vermutlich seit dem Jahr 33 nach Christus verankert, als die Apostel Thomas und Petrus ins Land kamen. Der Islam eroberte die Region erst 700 Jahre später. Lebten in den ersten Regierungsjahren von Saddam Hussein noch 1,4 Millionen Anhänger Jesu im Irak (Zählung von 1987), so schrumpfte ihre Zahl schon während seiner Amtszeit (1979–2003) um rund 400000 und seit der US-Invasion und dem Eindringen amerikanischer Truppen  2003 weiterhin drastisch. Mindestens 600000 sind geflohen. Der Exodus verschärfte sich vor allem, als islamistische Extremisten damit begannen, systematisch mit Autobomben Kirchen unter der Beschuldigung anzugreifen, ihre Gläubigen würden mit den US-Amerikanern kollaborieren. Rund drei Dutzend Gotteshäuser waren Ziele solcher Attacken.

Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen berichtete jüngst, dass Christen im Irak nicht mehr sicher seien und die religiös motivierten Gewalttaten laufend zunähmen. Gleichzeitig versucht die Regierung zwar, christliche Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen: So soll jeder Heimkehrer eine Arbeitsstelle, ein Baugrundstück sowie umgerechnet 1000 Euro angeboten bekommen. Doch die christliche Minderheit ist radikalen Muslimen ein Dorn im Auge. Die gute Bildung der Christen, die ihnen Vorteile auf dem Arbeitsmarkt verschafft, ist häufig Anlass für Neidkampagnen. Es ist nicht auszuschließen, dass selbst irakische Politiker in die Angriffe gegen Christen verwickelt sind. Das jedenfalls behauptet Basile Georges Casmoussa, Erzbischof von Mosul. „Einige Morde geschehen im Namen politischer Parteien“, gab er dem Hilfswerk „Kirche in Not“ zu Protokoll.

Englands liberaler „Guardian“ kam Ende Oktober zu dem Schluss, dass sich das Christentum generell aus großen Gebieten in Vorderasien verabschiedet – und damit aus Landschaften, die als Wiege des christlichen Glaubens gelten. Stellten zum Beispiel die Jünger Christi in der Geburtsstadt Jesu, in Bethlehem, einst 85 Prozent der Bevölkerung, so sind es jetzt gerade noch 20 Prozent. In vielen Ländern des Mittleren Ostens und bis ins ferne Indonesien ist – so der „Guardian“ – das Christentum auf dem Rückzug. Das gilt für Ägypten, den Iran, die Türkei, Jordanien und auch den Libanon, der einst sogar christlich geführt wurde. Hier macht sich stattdessen die vom Iran gesponserte Hisbollah breit.

Ein Schlaglicht auf die Situation wirft der Mord an einem Metzger, der in Bagdad auch Wildschweinfleisch anbietet. Die Tat ist an Grausamkeit kaum zu überbieten. Auf einem Müllsack mit Leichenteilen klebte ein Zettel: „Ihr habt den Muslimen Schweinekoteletts verkauft, deswegen seid ihr selbst Schweine und werdet als Koteletts verkauft.“ Die hoffnungslos überforderten Sicherheitskräfte sehen selbst bei solchen Verbrechen in der Regel weg. Auch das ist eine Wahrheit im angeblich vom We­sten befriedeten Irak.   J. Feyerabend


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren