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13.11.10 / Lausbuben und Prinzessinnen / Das Sprengel Museum in Hannover präsentiert Kinderdarstellungen um 1900

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Lausbuben und Prinzessinnen
Das Sprengel Museum in Hannover präsentiert Kinderdarstellungen um 1900

Der künstlerische Blick auf Kinder ist Thema einer Ausstellung im Sprengel Museum Hannover. Aufgeboten sind rund 100 Grafiken aus dem Kaiserreich und der frühen Weimarer Republik. Zu ihnen gesellen sich einige Gemälde von Paula Modersohn-Becker und August Macke sowie Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck und George Minne.

Für Emil Nolde (1867–1956) hatten die Mädchen und Jungen von Fischern, Bauern und anderen Dorfbewohnern den Reiz des Unbeschwerten. Er erinnert sich: „Sie alle standen um mich herum, schauend, rufend, lachend.“ Auf einer seiner Radierungen haben sich zwei „Lausbuben“ (1908) breitbeinig vor dem Betrachter aufgebaut. Derweil haben sich auf einem anderen Blatt fünf kleine Mädchen zum „Ringelrosenkranz“ (1908) an den Händen gefasst.

Noldes Darstellungen des fröhlichen Landlebens stehen im scharfen Kontrast zu Heinrich Zilles (1858–1929) tragikomischer Sozialkritik an den Lebensumständen des Berliner Lumpenproletariats. Sein Blatt „Zur Mutter Erde“ (um 1905) zeigt eine Straßenszene mit spielenden Kindern, Halbwüchsigen, Müttern und einem alten Paar. Kindersterblichkeit war in diesem Milieu etwas Alltägliches. Und so blicken die Dargestellten mit mäßigem Interesse auf einen kleinen Trauerzug. Ein Junge und ein Mädchen gehen einem Kinderwagen voran, in dem der Vater einen kleinen Sarg gen Friedhof schiebt. In einer mit „Lumpen Einkauf“ überschriebenen Tür lehnt die Mutter, das jüngste Kind zu Füßen. Sie ruft: „Besauft eich nich un bringt det Sarg wieder, de Mütter ihre Möblierte brauchten morjen ooch!“

Mit sentimentalen Darstellungen übte Käthe Kollwitz (1867–1945) Sozialkritik. Die Radierung „Arbeitslosigkeit“ (1909) zeigt einen Vater, der vor Hoffnungslosigkeit zusammengesunken neben dem Bett sitzt. In ihm liegt sorgenvoll starrend seine todkrank aussehende Frau, einen Säugling und zwei kleine Kinder um sich. Auf anderen Blättern treten Mütter als entschlossene Beschützerinnen ihres Nachwuchses auf. Schließlich sind die Kinder die Hoffnungsträger für die Zukunft. Deshalb trägt eines der Blätter von Käthe Kollwitz den Titel: „Saatfrüchte sollen nicht zermahlen werden.“

Mit allergrößtem Optimismus feierte hingegen Hugo Höppener (1868–1948), der sich Fidus nannte, Kinder als Hoffnungsträger einer besseren Zukunft. Seine vor Lebensenergie strotzenden jugendlichen Modelle präsentieren sich in paradiesischer Nacktheit. Sein „Entwurf für Lichtgebet“ (Bleistift, 1922) zeigt die Rückenfigur eines nackten Jünglings, der auf einem Felsgipfel die Arme ausstreckt, um sich Sonne und frischer Luft hinzugeben. Diese Darstellung wurde zur vielfach reproduzierten Ikone der Jugend- und Lebensreformbewegung. Andere Blätter, etwa „Erwartung“ (1902) mit dem zwischen Birken posierenden jungen Mädchen, haben eine unverkennbar erotische Note. Von wegen unschuldige Nacktheit!

Offenbar nicht ganz wohl in seiner Haut fühlt sich das von Edvard Munch (1863–1944) auf der Lithografie „Pubertät“ (1894) dargestellte junge Modell. Nackt sitzt es auf der Bettkante, die Arme vor dem Schoß überkreuzt. Blendend scheint es hingegen der kleinen pausbackigen Prinzessin zu gehen, die uns Munch auf einer anderen Lithografie vorstellt. Mit aufmerksamem Blick steht dieses „Kleine norwegische Mädchen“ (1908/09) – Tochter eines Zeitungsverlegers – selbstbewusst vor uns. Veit-Mario Thiede

Die Ausstellung „Kinder – Darstellungen um 1900“ ist bis zum

23. Januar 2011 dienstags von 10 bis 20 Uhr sowie mittwochs bis sonntags von 10 bis 18 Uhr im Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover, zu sehen.


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