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13.11.10 / Schmerzliche Erinnerung an das Kriegsende 1945 / Zum Volkstrauertag: Das Schicksal der Bauernfamilie Beringer im Zweiten Weltkrieg steht stellvertretend für das Leid von Millionen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Schmerzliche Erinnerung an das Kriegsende 1945
Zum Volkstrauertag: Das Schicksal der Bauernfamilie Beringer im Zweiten Weltkrieg steht stellvertretend für das Leid von Millionen

Neben dem bekannten Streit, ob der 8. Mai 1945 ein Tag der „Befreiung“ oder ein Tag der Niederlage war, gibt es für den einfachen Zeitgenossen noch eine ganz andere Gedankenverbindung zu diesem Datum. Nämlich die mit der deutschen Kapitulation gewachsene Hoffnung, dass der von der Wehrmacht als „vermisst“ gemeldete Sohn, Ehemann oder Vater doch noch am Leben ist und aus der Gefangenschaft nach Hause kommen würde. Manch eine Familie fühlte sich am 8. Mai 1945 auch von der Angst befreit, noch weitere Blutopfer bringen zu müssen.

Wie beispielsweise die bayerische Bauernfamilie Bartholomäus und Kreszentia Beringer. Das Ehepaar hatte neben einer Tochter elf Buben, von denen fünf aus dem Krieg nicht heimkehrten – oder wie es damals hieß „auf dem Felde der Ehre gefallen sind“. Privat erhielten die hinterbliebenen Angehörigen, zumeist die Eltern oder die Ehefrau, ein Beileidsschreiben des militärischen Vorgesetzten des gefallenen Sohnes oder Ehemannes über die näheren Umstände seines Todes.

Die Eltern Beringer bekamen schon im ersten Monat des deutsch-polnischen Krieges, also im September 1939, vom Chef der „1. (mot.) Kompanie des Pionier-Bataillons 47“ die traurige Mitteilung, dass ihr damals 23-jähriger Sohn Ludwig, Leutnant und Zugführer seiner Einheit, bei einem „schwierigen Kampfeinsatz“ im polnischen Ostgalizien „als tapferer und begeisterter Soldat gefallen ist“. Der kondolierende Hauptmann fügte noch anerkennend hinzu, dass „Beringer beliebt und geachtet bei Untergebenen, Kameraden und Vorgesetzten gewesen“ sei. Er teilte sein Soldatengrab mit „Pionier Söldner“ dem zweiten Gefallenen seines Zuges. Der bis zum Offizier aufgestiegene Bauernsohn war der erste Kriegsgefallene des ganzen damaligen Landkreises. Sein Soldatentod sollte freilich nicht der einzige schmerzliche Verlust der Familie Beringer bleiben.

Denn schon im November 1941 traf die nächste Trauerbotschaft auf dem Beringerhof ein. Dieses Mal meldete der Kompaniechef eines Grenadier-Regiments den Heldentod des knapp 21-jährigen Sohnes Willibald. Ein Kamerad des Gefallenen namens Hans Saller schrieb Anfang Februar 1942 der Mutter einen mitfühlenden Brief. In ihm gab er mittels einer eingezeichneten Skizze die genaue Grabstelle zwischen den Orten Plarsk und Nikotskoje in Russland an und fügte erklärend hinzu: „Es ist kein Friedhof, so etwas gibt es in Russland nicht mehr (er meinte wohl den ihm von zuhause geläufigen „Gottesacker“ um die Kirche herum), wie auch die Kirchen verödet und verfallen sind; aber ich habe ein schönes Plätzchen ausgesucht, wo sie still ruhen, unsere lieben Toten. Es waren damals sieben.“ Eine Zahlenangabe, die beispielhaft im Kleinen den großen menschlichen Aderlass dieses verlustreichen Ostkrieges markiert. Für die Familie Beringer beileibe noch nicht das Ende ihres Blutzolls in jenen Jahren.

Bereits im Oktober 1944 kam der Bürgermeister erneut auf den Beringerhof, um Bartholomäus und Kreszentia Beringer die traurige Nachricht vom Tod ihres damals gerade 19 Jahre alt gewordenen Sohnes Josef zu überbringen. Er war auf dem Rückzug der deutschen Wehrmacht aus Russland in der Nähe des lettischen Ortes Zakamuiza gefallen.

Ein Vierteljahr zuvor hatte das leidgeprüfte Elternpaar die Mitteilung erreicht, dass ihr drittältester Sohn Michael, Jahrgang 1912, seit Ende Juni 1944 „vermisst“ sei. Ein Schicksal, das die Angehörigen zwischen Hoffen und Bangen hin- und herriss. Es ließ einerseits die Erwartung zu, dass sich der Vermisste doch noch melden werde, schloss aber andererseits auch die Möglichkeit nicht aus, dass er tödlich getroffen wurde, jedoch infolge des Rückzugs seiner Einheit nicht mehr geborgen werden konnte. Oder Partisanen brachten ihn in ihre Gewalt und machten mit ihm völkerrechtswidrig „kurzen Prozess“, das heißt, ermordeten ihn. Dazwischen flackerte noch die Hoffnung, dass der vermisste Soldat lebend in die Hände des regulären Kriegsgegners gefallen ist und gefangen genommen wurde. Freilich war dieses Los auch nicht immer ein Glücksfall, kam es doch darauf an, in welche Gewahrsamsmacht der Kriegsgefangene geriet.

Bartholomäus und Kreszentia Beringer mussten schließlich nach Kriegsende bitter erfahren, dass ihr viertältester, zur Wehrmacht eingezogener Sohn Andreas seine russische Gefangenschaft nicht überlebt hat. Es starb nach Ausweis des russischen Totenscheins „am 10. Juli 1945 im Hospital des Lagers Nr. 84 an Schizophrenie III“.

Von und über den am 25. August 1912 geborenen Michael hörten die Beringer-Eltern während des Krieges nichts mehr. Vor 65 Jahren, als der Krieg zu Ende war und die Sieger daran gingen, ihre deutschen Kriegsgefangenen zur Einbringung der Ernte in die Heimat zu entlassen, keimte nochmals Hoffnung auf, den Drittgeborenen nach langen Jahren des Wartens in die Arme zu schließen. Dies umso mehr, als sich bei den Beringers immer wieder Heimkehrer einstellten und um eine Wegzehrung baten, die ihnen gern gegeben wurde. Und im Übrigen auch vor dem Hintergrund, dass Bartholomäus und Kreszentia Beringer auch noch auf Sohn Leonhard warteten, von dem sie auch bereits seit Längerem kein Lebenszeichen mehr erhalten hatten. Weil die von den Beringer-Eltern immer wieder vorsorglich verpflegten Heimkehrer keinen Hinweis auf Michael und Leonhard mitbringen konnten, drohte langsam Resignation aufzukommen. Da geschah es, dass sich an einem Septembertag des Jahres 1945 ein ausgemergelter deutscher Landser auf dem Beringerhof einfand, dem die Beringer-Mutter gerade wieder etwas zu essen und zu trinken geben wollte, als Tochter Walburga ihren Bruder erkannte und freudestrahlend ausrief „Mutter, das ist doch unser Leonhard!“ Leider sollte sich ein ähnliches Wiedersehen nicht wiederholen. Sohn Michael blieb verschollen.       Alfred Schickel


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