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13.11.10 / Preußen in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik / Jahrestagung der Preußischen Historischen Kommission im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Preußen in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik
Jahrestagung der Preußischen Historischen Kommission im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Wo ist anzufangen und aufzuhören, wenn es gilt, die Geschichte Preußens zu schreiben? Ist die Mark Brandenburg der alleinige Ausgangspunkt oder nimmt man von Anfang an den Ordensstaat beziehungsweise das Herzogtum Preußen mit in den Blick? Konzentriert man sich auf die Hohenzollern? In diesem Falle wäre das Ende Preußens auf 1918 zu datieren. Formal wurde der Staat Preußen aber bekanntlich erst durch das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 aufgehoben. Es gibt allerdings auch andere Stimmen, die meinen, die Reichsgründung von 1871 markiere bereits den eigentlichen Schlusspunkt der preußischen Geschichte. Für den Historiker Siegfried A. Kaehler (1885–1963) hat Preußen faktisch mit dem nationalsozialistischen „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ vom Januar 1934, durch welches die Länder ihre Souveränität verloren und der Reichsregierung direkt unterstellt wurden, aufgehört zu existieren.

Wenn es bereits bei den Eckdaten derartig grundlegende Differenzen gibt, so verwundert es wenig, dass auch andere Bereiche der Darstellung der preußischen Geschichte umstritten waren und sind. Die Preußische Historische Kommission widmete sich auf ihrer Jahrestagung vom 4. bis zum 6. November im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin diesen Diskussionen. Geleitet wurde die Tagung vom Vorsitzenden der Kommission, dem Chemnitzer Professor Frank-Lothar Kroll, dem Direktor des Geheimen Staatsarchivs, Jürgen Kloosterhuis, sowie dem Passauer Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte, Hans-Christof Kraus, auf den auch die Konzeption zurückgeht.

Unter dem Titel „Das Thema ‚Preußen‘ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945“ wurde vor allem das Wirken einzelner Historiker in den Vordergrund gestellt, um Perspektiven, Schwerpunkte und Desiderate, aber auch die Indienstnahme der Preußenforschung für politische Zwecke zu verdeutlichen.

So wurde auf die bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, dass die Aufklärung nur selten zentraler Gegenstand der Preußenforschung ist. Das hängt wohl mit der auch unter Historikern verbreiteten Vorstellung zusammen, dass die Aufklärung revolutionär und kirchenfern gewesen sei. Dies mag mit Blick etwa auf Frankreich stimmen. In Preußen hingegen war sie reformorientiert und staatsnah, herausragende Aufklärer waren Staatsbeamte.

Mit Preußen beschäftigte sich auch die DDR-Geschichtswissenschaft, allerdings äußerst selektiv. Von Interesse war nur das, was man für Ideologie und Politik dienstbar machen konnte, etwa die Agrarreformen, die Befreiungskriege gegen Napoleon und speziell die Konvention von Tauroggen vom Dezember 1812 als Beginn einer angeblichen Tradition deutsch-russischer Waffenbrüderschaft.

Wandlungen in der Sichtweise auf die preußische Geschichte in der Zeit vor 1945 lassen sich am Werk von Erich Marcks (1861–1938) verdeutlichen. Während sich Marcks in seinen vor 1918 entstandenen Schriften als „Borussist par excellence“ gerierte, betonte er nach 1918 die „deutsche Mission“ Preußens.

Dass der Dichter Stefan George (1868–1933) unter anderem starken Einfluss auf einige seinem Kreis angehörende Geschichtsschreiber ausübte, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass dies auch für die preußische Geschichte gilt, vor allem für den Militärhistoriker Walter Elze (1891–1979).

Die Militärgeschichte nimmt im Werk vieler Preußen-Historiker breiten Raum ein, so auch bei Eberhard Kessel (1907–1986). Er legte 1957 eine monumentale Moltke-Biographie vor, sechs Jahre nach seinem Tod wurde ein Typoskript entdeckt, welches als verschollen galt: Es handelt sich um die über 1000-seitige Arbeit Kessels „Das Ende des Siebenjährigen Krieges 1760–1763“, mit deren Herausgabe im Jahr 2007 das Generalstabswerk über die Kriege Friedrichs des Großen abgeschlossen werden konnte. Bei Walter Hubatsch (1915–1984) bildete neben der Militär- die Verwaltungsgeschichte den Schwerpunkt des Interesses. Insbesondere der Person des Freiherrn vom Stein widmete er viele Studien, aber keine große Biographie. Hubatsch gilt als einer der letzten Historiker, die preußische Geschichte von einem national-protestantischen Standpunkt aus betrachteten.

Hans-Joachim Schoeps (1909–1980) galt schon zu Lebzeiten als eine Art Exot, selbst unter Preußen-Historikern. Der Religionsphilosoph Schoeps, der später in Erlangen wirkte, musste 1938 als Jude emigrieren, im schwedischen Exil wandte er sich intensiv der Geschichte Preußens zu. In seinem Blickfeld war auch „Das andere Preußen“ (so der Titel eines 1952 erschienenen Buches), in welchem er die Bismarck-Opponenten, etwa die Gebrüder Gerlach oder den als Historiker und Politiker wirkenden Heinrich Leo, in den Fokus rückte. Schoeps fragte, ob 1866 nicht als Unheilsjahr der deutschen Geschichte gesehen werden müsse, da die sich hieran anschließende „kleindeutsche Lösung“ Bismarcks das europäische Staatensystem zerstört habe.

Horst Möller, der durch mehrere große Arbeiten auch als Preußen-Historiker ausgewiesene Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, betonte in seinem Vortrag, dass die Preußenforschung glücklicherweise nicht einer derartigen Hysterie unterliege wie die Zeitgeschichte. Solcherart vorteilhafte wissenschaftliche Rahmenbedingungen sind umso erfreulicher, als die Diskussionen auf der Tagung gezeigt haben, dass es über die Preußen-Forschung im Allgemeinen und die Bewertung der hier behandelten Preußen-Forscher im Besonderen etliche Differenzen gibt. Und so war die diesjährige Tagung der Preußischen Historischen Kommission eine Bilanz, aber auch ein Impuls für weitere Untersuchungen zum Umgang mit dem Thema ‚Preußen‘.            Erik Lommatzsch


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