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27.11.10 / Totgesagte leben länger / Die französische Regierung von Nicolas Sarkozy hat zumindest die Schlacht um die Rentenreform gewonnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Totgesagte leben länger
Die französische Regierung von Nicolas Sarkozy hat zumindest die Schlacht um die Rentenreform gewonnen

Nach massivem Druck von links reagiert der französische Staatspräsident Sarkozy mit einem Rechtsruck. Bei seiner Regierungsumbildung ersetzte er linke und liberale Köpfe durch Altgaullisten.

Nicolas Sarkozy und sein Premierminister François Fillon haben die Schlacht um die lebenswichtige Rentenreform gewonnen. Die neu formatierte Sarkozy-Regierung in Paris bekommt damit eine Chance, aus den Wahlen 2012 siegreich hervorzugehen.

Allen Befürchtungen zum Trotz hat der französische Staat der Straße nicht nachgegeben. Die Erhöhung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre ist unter Dach und Fach. An sich ist 62 das Alter, wo man legal in Rente gehen darf. Aber in der Praxis wird das Renten wird das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre erhöht, denn erst mit 67 wird man mit 41 eingezahlten Jahresbeiträgen die volle Rente bezahlt bekommen. Ausnahmen bestätigen dabei die Regel wie Angehörige von Berufssparten mit erschwerter Arbeit oder Mütter von mehr als zwei Kindern. Das ist zwar ein starker sozialer Einschnitt, aber er ist durch die Verlängerung der Lebenserwartung und durch das Loch in der Rentenkasse gerechtfertigt, durch ihn ist die Zahlung der Renten ist für die nächsten Jahrzehnte gesichert.

Von Streiks und Blockaden bleiben nur Scherben. Die 33 Tage anhaltende Blockade des Hafens von Marseille durch die kommunistischen Transportarbeiter hat nichts gebracht, außer dass die Häfen anderer Länder daran kräftig verdient haben. Die Reform der Hafenarbeit ist geblieben und die Streiktage werden nicht bezahlt. Gewerkschaften und linke Parteien versuchten wochenlang mit Riesendemos und Arbeitsniederlegungen, mit der Unterbrechung der Energieversorgung und Schulblockaden, die Regierung unter Druck zu setzen, damit sie das im Parlament bereits verabschiedete Gesetz zurücknimmt. Diesen Fehler, der sein Ende bedeutet hätte, hat der französische Präsident Sarkozy nicht begangen. Es wäre auch ein Schritt in Richtung Sowjetrepublik gewesen.

2010 wird vielleicht als das Jahr gelten, in welchem dem Demokratieverfall ein Riegel vorgeschoben wurde. Der Linksprotest ist aus Mangel an Truppen zusammengebrochen. Die Gewerkschaften zählten vor 30 Jahren 20 Prozent der Lohnabhängigen als Mitglieder. Jetzt sind es nur noch fünf Prozent. Selbst in den sonst stark gewerkschaftlich organisierten Branchen – Eisenbahnen, Häfen, Elektrizitätskonzerne – haben sich höchstens zehn Prozent des Personals an den Aktionen beteiligt.

Viele hatten erwartet, dass Sarkozy in seinem eineinhalbstündigen TV-Interview mit denen abrechnet, die wochenlang Frankreichs Wirtschaft schwer geschadet und sein Leben vergiftet hatten. In allen Demonstrationen war er die Hauptzielscheibe, karikiert, angeschrien, symbolisch hingerichtet. Der Staatschef unterstrich ganz im Gegenteil, dass die Gewerkschaften seine Rentenreform nicht hätten unterstützen können, da es für den kleinen Mann auf der Straße immer unpopulär ist, länger zu arbeiten. Er lobte deren Besonnenheit und gab seiner Freude Ausdruck, dass es bei den Demos keine Verletzten und keine Toten gegeben hat. Dabei war die Polizei, die Verletzte in ihren Reihen zählt, eher als die Demonstranten zurückhaltend gewesen. Mit diesen Worten reichte Sarkozy seinen Gegnern staatsmännisch die Hand. Seine Einstellung ist bekannt. Er hat einmal Bernard Thibault, dem Anführer der kommunistischen Gewerkschaft CGT, gesagt: „Ich will Deine Verhandlungsposition stärken, aber Du wirst nicht an meiner Stelle regieren.“ Sarkozy träumt von Gewerkschaften nach deutscher Art. Dafür geißelte der Staatspräsident den „unverantwortlichen“ Aufruf seiner sozialistischen Widersacherin Ségolène Royal an die Schüler und Schülerinnen, gegen den Staat mitzudemonstrieren.

Auf mehreren Gebieten verzeichnet die Regierung Erfolge, insbesondere bei der Öffnung der Roma-Akte auf europäischer Ebene und auch in der internationalen Politik, wo Sarkozy ein Jahr lang als Vorsitzender der G20 amtieren wird. Der Zeitpunkt für die lang erwartete Regierungsumbildung war günstig. Wichtige Ämter bleiben unverändert: Fillon als Premierminister, Christine Lagarde als Wirtschaftsministerin, Brice Hortefeux als Innenminister. Interessant sind die Ernennung des Shooting Stars François Baroin zum Regierungssprecher und die Auflösung des Ministeriums für Nationale Identität, dessen Inhaber, der frühere Sozialist Eric Besson, Minister für Industrie und Energiewirtschaft wird, sowie die Ablösung des linken Bernard Kouchner durch die Altgaullistin Michèle Alliot-Marie im Auswärtigen Amt. Nach dem Abgang von Rachida Dati verlassen Rama Yade und Fadela Amara, die zwei renitenten Frauen mit Migrationshintergrund, die Regierung. Jeannette Bougrab, die Tochter eines Harkis, das heißt eines ehemaligen französischen Soldaten aus Algerien, wird zur Staatssekretärin für Jugendfragen. Bei 23 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ein schweres Amt. Zentristen wie J.-L. Borloo und H. Morin wurden aus der Regierung entlassen. Sie sollen ein neues Zentrum bilden, um den gesammelten Öko-Linken um Cohn-Bendit das Wasser abzugraben. Die nun nach rechts gerückte Regierung versucht ihrerseits, die ultrarechte Nationale Front in Schach zu halten. 

Spektakulär ist die Ernennung des Oberbürgermeisters von Bordeaux und ehemaligen Premierministers Alain Juppé zum Verteidigungsminister. Nach PAZ-Informationen findet der neue Generalsekretär der Regierungspartei UMP, Jean-François Copé, die Vorstellung eines deutsch-französischen Kerneuropas abgedroschen. Die Achse Paris–Berlin hat aber Zukunft. Das Militärbündnis mit Großbritannien, das wie Frankreich eine Nuklearmacht ist, bleibt davon unangetastet. Jean-Paul Picaper


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