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27.11.10 / Anfangs nur ein »Alterstaschengeld« / Konrad Adenauers Generationenvertrag nutzt den Rentnern auf Kosten der Aktivgeneration

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Anfangs nur ein »Alterstaschengeld«
Konrad Adenauers Generationenvertrag nutzt den Rentnern auf Kosten der Aktivgeneration

Vor 125 Jahren schuf Reichskanzler Otto von Bismarck die Sozialgesetze des Deutschen Reiches. In Deutschland haben sie bis zum heutigen Tage Bestand und dem Ausland dienten sie als Vorbild. Der Reigen reichte von der Krankenversicherung von 1883/84 über die Unfallversicherung von 1884/85 bis zur Alters- und Invaliditätsversicherung, die 1889/91 den Schlusspunkt bildete.

„Wer eine Pension hat für sein Alter, der ist viel zufriedener und viel leichter zu behandeln”, konstatierte Otto von Bismarck. Zudem lehre eine Rente den gemeinen Mann „das Reich als eine wohltätige Institution anzusehen”. Waren solche Überlegungen eher für den internen Gebrauch bestimmt, verkündete der preußische Ministerpräsident und deutsche Reichskanzler volkstümlicher nach draußen, ein „Alterstaschengeld“ werde die „Schwiegertochter davon abhalten, den Alten aus dem Haus zu ekeln“.

Mehr als ein Taschengeld brachte es tatsächlich nicht, was da am 22. Juni 1889 als „Reichsgesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung” verabschiedet wurde. Und es ging auch weniger um die Alten, als vielmehr um die Sicherung der Arbeitsunfähigen. Als das Gesetz in Kraft trat, lag die Altersgrenze bei 70 Jahren. Der Durchschnittsmann wurde 36 Jahre alt, seine Frau überlebte ihn vier Jahre. Bis zum Rentnerdasein hielten die wenigsten durch. Das dann gezahlte „Alterstaschengeld“ betrug für den Durchschnitt gerade zehn Mark im Monat (der Durchschnittslohn lag bei 60 Mark). 

Finanziert wurden die Renten aus Pflichtbeiträgen und Zuschüssen der Staatskasse. Bismarck hatte auf Beiträge verzichten und die Rente ausschließlich über Steuern finanzieren wollen – unter anderem über ein Tabakmonopol –, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen. Zu jeder Rente steuerte der Staat 50 Mark jährlich aus dem Steuersäckel bei. Der andere Teil ergab sich aus den Beiträgen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte aufbringen mussten. Nach Verdienst staffelten sich die Beiträge in fünf Stufen von 14 bis 36 Pfennig. Das entsprach 1,5 bis 2,9 Prozent des Lohnes.

Die erhoffte beruhigende Wirkung auf die Arbeiterschaft zeigten die Rentengesetze anfangs keineswegs. Im Gegenteil: Es kam zu Protesten gegen den eingeforderten Beitrag, die Arbeiter rebellierten gegen die Zwangsversicherung. Arthur Stadthagen, der – wie wir heute sagen würden – sozialpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, wetterte 1896 gegen die Rentenversicherung: „Die Folge des Gesetzes ist, dass die Armenlasten der Gemeinden etwas verringert sind, dass der in Gestalt der Klebemarken zu zahlende Teil der Armenlasten von den Schultern Wohlhabender in stärkerem Maße als vordem auch auf die Schultern der Ärmeren gelegt ist und dass eine Anzahl Beamter Anstellung und Besoldung erhalten hat.“

Die Kritik fiel mit der Zeit milder aus, aber sie verstummte nicht. Die Zeiten waren nicht danach und die Renten auch nicht. Sie blieben eine Beihilfe, mehr nicht. Während der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg waren sie nicht einmal mehr das. Rentner war gleichbedeutend mit Fürsorgeempfänger. Als es in den 20er Jahren allgemein wirtschaftlich wieder aufwärts ging, spürten die meisten Rentner kaum etwas davon. Sie hatten zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel: 30 Prozent von ihnen bezogen Fürsorge, 20 Prozent mussten dazuverdienen. Und dann kam die Zeit der großen Arbeitslosigkeit, und Rentner fanden sich wieder bei der Fürsorge ein. Das Zwillings­paar Arm und Alt schien unzertrennlich.

Im Grunde änderte sich an der Rente in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nichts. Das Rentensystem blieb nahezu unangetastet. Gelegentlichen Versuchen einer Änderung war kein Erfolg beschieden. Schiffbruch erlitt beispielsweise das Berliner Modell, VAB (Versorgungsanstalt Berlin) genannt. Der Magistrat der Stadt hatte es gemeinsam mit den Sowjets eingeführt, noch bevor die Amerikaner am 1. Juli 1945 in Berlin einzogen. In die VAB-Kasse flossen die Sozialbeiträge – von Arbeitnehmern, Selbständigen und Gewerbetreibenden – für sämtliche Sozialversicherungen. 20 Prozent seines Bruttolohns musste jeder Pflichtversicherte abgeben. Für den Durchschnittsrentner kamen dennoch nicht mehr als 50 Mark monatlich dabei heraus.

Die erste grundlegende Veränderung seit Bismarck brachte die Rentenreform von 1957. Mit ihr trat ein neues Rentensystem in Kraft, das bis heute gültig ist. Seither wird das Ansparen auf die Rente nicht mehr wie ein Versicherungsvertrag behandelt. Die Reform 1957 bestand aus dem sogenannten Generationenvertrag. Die staatliche Rentenkasse verwaltet seitdem nicht mehr treuhändisch das Angesparte und bestreitet daraus die späteren Rentenzahlungen, sondern finanziert die Rente nunmehr aus dem fortlaufenden Ertrag der Volkswirtschaft. Der arbeitende Teil der Bevölkerung versorgt folglich die Rentner mit. Der Mehrheit der Rentner bekam das bis heute außerordentlich gut. Bis zur Rentenreform 1957 konnte ein Arbeiter gerade 28 Prozent, ein Angestellter 22 Prozent seines durchschnittlichen Einkommens als Rente beziehen. In Wirtschaftswunder-Mark zahlte sich das für einen Rentner wegen „Frühinvalidität“ mit 90, wegen „Altersinvalidität“ mit 120 monatlich aus. Zum Vergleich: 1957 verdiente ein Facharbeiter 350 Mark im Monat.

Jetzt ist die Sicherung der Rente wieder ein zentrales Thema der Politik. Und niemand teilt noch die Zuversicht, mit der einst Norbert Blüm nach einer kleinen Reparatur am System frohlockte: „Die Rentenreform macht das bewährte Rentenhaus für das nächste Jahrhundert wetterfest.” Das war 1992. So schnell kann ein Jahrhundert vergehen. Denn schon wieder muss repariert werden.       Klaus J. Groth


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