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27.11.10 / Wie das Denken oberflächlicher wird / US-Autor hinterfragt die Auswirkungen des Internets auf die geistige Wendigkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Wie das Denken oberflächlicher wird
US-Autor hinterfragt die Auswirkungen des Internets auf die geistige Wendigkeit

Bereits mehrfach hat der US- Wissenschaftspublizist und Bestsellerautor Nicholas Carr mit kritischen Veröffentlichungen zum Thema Internet Diskussionen angestoßen. 20 Jahre nach der Einrichtung des World Wide Web meldet er sich erneut warnend zu Wort. „Wer bin ich, wenn ich online bin … und was macht mein Gehirn solange? Wie das Internet unser Denken verändert“ lautet der Titel der deutschsprachigen Ausgabe seines neuen Buches. Selbst ein langjähriger Intensiv-Nutzer des Internet hatte der Autor festgestellt, dass er sich beim Lesen eines Buches oder längeren Textes nur noch mühsam über längere Zeit auf den Inhalt konzentrieren kann.

Mit dieser Erfahrung scheint er nicht allein zu sein. Darüber hinaus ergab eine Umfrage bei US-amerikanischen Studenten, dass ein Teil von ihnen sich fast nur noch aus dem Internet informiert. Man liest allenfalls Buchauszüge als „google“-Buchseiten, ansonsten begnügen sich die bekennenden Bücher-Abstinenzler mit Zusammenfassungen – selbst Literaturstudenten. Die Ursache dafür sei, so der Autor, die tägliche Informationsverarbeitung unseres Gehirns, das oft stundenlang in hohem Tempo Extrakte aus den vielen bunten, kleinteilig gestalteten Internetseiten aufnimmt, gespickt mit kurzen Texten und Bildern, davon ein Großteil Werbung. Hinzu kommen der Fernsehkonsum und oftmals noch die Beschäftigung mit Unterhaltungselektronik. Carr diagnostiziert eine innere Rastlosigkeit als Folge von Reizüberflutung.

Unser Denken sei oberflächlicher geworden; insbesondere werde das Langzeitgedächtnis durch das Internet geschwächt. Kritischer, nachdenklicher und phantasievoller waren wir, als die elektrischen und elektronischen Medien noch nicht unseren Alltag bestimmten, meint er und gibt zu bedenken: „Wir befinden uns gegenwärtig an einem Scheideweg.“ Er unternimmt einen kulturgeschichtlichen Streifzug durch die Geschichte des Lesens und des Buches, beschreibt anschaulich das „Dämmern des elektronischen Zeitalters“ und die Funktionsweise der ersten digitalen Computer. Deren Wegbereiter haben bereits in düsteren Visionen die heutige und die noch ausstehende weitere Entwicklung beschrieben.  

Desweiteren präsentiert Carr Forschungsergebnisse, die belegen, dass es im menschlichen Gehirn ständig zu neuronalen Veränderungen aufgrund bestimmter Erfahrungen oder durch Sinnesreize kommt. Der Ausdruck „eine prägende Erfahrung“ hat also auch im physiologischen Sinne seinen Wahrheitsgehalt. Die sogenannte Neuroplastizität stattet ein intelligentes Lebewesen einerseits mit geistiger Flexibilität aus, aber sie birgt auch eine Gefahr, indem sie uns in ein starres Denk- und Verhaltensmuster zwingt, das im Einzelfall sogar in eine psychische Erkrankung münden kann.

Mit derartigen negativen Auswirkungen bringt er das Internet einschließlich der Kommunikationsnetzwerke wie Facebook in Verbindung. Carr spricht von einem „süffigem Gift“, das uns für die tiefere kognitive Beeinflussung blind mache, und er konstatiert eine bereits eingetretene Reduzierung der intellektuellen Fähigkeiten („der linearen Denkweise“).

Seine Thesen sind für die langfristige gesamtgesellschaftliche Entwicklung brisant. Einerseits zweifelt kaum jemand daran, dass das Internet unser Gehirn tatsächlich verändert. Dennoch wird der „Schnellfeuermodus“ des Internets, die sofortige Verfügbarkeit einer repräsentativen Auswahl aus einer unvorstellbar großen Datenmenge, allgemein als reiner Segen gepriesen. Carr hingegen bezieht sich auf den bedeutenden kanadischen Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan (1911–1980), der bereits den Gedanken formulierte, dass Medien mehr sind als nur Informationskanäle; tatsächlich formten sie auch den Prozess des Denkens.

Carrs Gegner werfen ihm erwartungsgemäß Kulturpessimismus vor, doch dieser stellt in seinem neuen Buch die rhetorische Frage, ob der anti-intellektuelle Flügel der akademischen Welt vielleicht schon aus den ersten Vertretern eines post-literarischen Denkens bestünde, jenen Buchverächtern, „die ohne Reue in den dauerhaften Zustand der Ablenkung“ hinübergeglitten seien.        Dagmar Jestrzemski

Nicholas Carr: „Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?“, Blessing Verlag, München 2010, gebunden, 384 Seiten, 19,95 Euro

 

Weitere neue Titel

Roland Baader: „Geldsozialismus – Die wirklichen Ursachen der neuen globalen Depression“, Resch, Gräfelfing 2010, broschiert, 163 Seiten, 13,90 Euro

Hans Göbel: „Geglaubt, gekämpft, gefangen – Meine Arbeitsdienst- und Militärzeit sowie Kriegsgefangenschaft (1942–1948)“, Frieling, Berlin 2010, broschiert, 173 Seiten, 12,90 Euro

Erich Riegner: „Untergang von Ziegelau – Ostpreußisches Tagebuch 20. Januar bis 9. Februar 1945“, der Autor berichtet aus eigenem Erleben über gnadenlosen Kampf um das der Provinzhauptstadt Königsberg vorgelagerte Dorf Ziegelau, broschiert, 72 Seiten, 7 Euro, zu bestellen: Geschwister-Scholl-Straße 37, 40789 Monheim am Rhein, Telefon (02173) 61184, eriegner@ t-online.de

Norbert Tarsten (Hrsg.): „Überall Heimat und Freunde – Texte und Kontexte“, Digital Print Group, Köln 2010, gebunden, 443 Seiten


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