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04.12.10 / Wieso schweigt Peking? / China hat kein Interesse an einem neuen Koreakrieg, dennoch lässt es Nordkoreas Diktatur gewähren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-10 vom 04. Dezember 2010

Wieso schweigt Peking?
China hat kein Interesse an einem neuen Koreakrieg, dennoch lässt es Nordkoreas Diktatur gewähren

China wird bereits als kommende Weltmacht gehandelt, doch der Fall Korea zeigt, dass Peking offenbar noch nicht in der Lage ist, Führung zu übernehmen. Kann oder will es nicht?

Für Zbigniew Brezinski, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre Sicherheitsberater des damaligen US-Präsident Jimmy Carter, war es ein Fall von Wahnsinn in der Führungsetage oder von außer Kontrolle geratenen Militärs. Beides keine beruhigenden Aussichten. Über 100 Granaten feuerte Nordkorea auf die 13 Kilometer seiner Küste vorgelagerte, zwischen Nord- und Südkorea umstrittene Insel Yonpyong ab. Vier Menschen, zwei Soldaten und zwei Bauarbeiter starben, 18 wurden verletzt. Dutzende Gebäude wurden beschädigt, etliche brannten aus. Alle 1600 Inselbewohner, Fischer und ihre Familien zumeist, wurden aufs Festland evakuiert. Vorgeblich hatten die alljährlichen Heeresmanöver der Südkoreaner und ihre bevorstehenden Seemanöver den Zorn des Nordens und jenen Überfall ausgelöst, der als klassischer Kriegsgrund gelten könnte.

Das Regime der Kims reagiert stets gewalttätig, wenn es unter Stress steht oder sich bedroht fühlt. Als Kim Jong-il die Nachfolge seines Vaters Kim Il-sung antrat, ließ er 1987 ein südkoreanisches Flugzeug sprengen (115 Tote) und beim Staatsbesuch des südkoreanischen Präsidenten in Rangoon in Burma dessen halbes Kabinett mit einem Bombenattentat ermorden. Jetzt bereitet der schwerkranke Despot seinen 27-jährigen dritten Sohn Kim Jong-eun auf die Nachfolge vor. Der ungediente, verfettete und finster blickende Jüngling wurde im September zum Viersternegeneral und Mitglied der Militärkommission, Nordkoreas oberstes Führungsgremium, ernannt. Andere enge Verwandte wurden in Schlüsselpositionen befördert, um die Herrschaft der Dynastie nach Kim Jong-ils Abtritt abzusichern. Mutmaßlich hat der Junior, um vor den Generalen das künftige Sagen zu demonstrieren, wie weiland der Vater, den Angriff befohlen. Beunruhigend ist dabei, dass die Gewalttätigkeit des Nordens und sein Vernichtungspotenzial zunehmen. Im März versenkte eines seiner U-Boote die Korvette „Cheonan“ mit 46 Toten, und im September führte Nordkorea, nach dem erfolgreichen Atomtest und den Raketenabschüssen des Vorjahres, der überraschten Weltöffentlichkeit eine hochmoderne Urananreicherungsanlage mit Hunderten von Zentrifugen vor, durch die sein atomares Aufrüstungsprogramm stark beschleunigt werden könnte.

Der Zweck solcher Übungen war in der Vergangenheit immer, neue Nahrungsmittel- und Energielieferungen von Südkorea und dem Westen zu erpressen. Wenig überraschend steht der maroden Diktatur wieder nach den üblichen Missernten das Wasser bis zum Hals. Für die nur wenige Stunden dauernden, streng überwachten Treffen getrennter Familien verlangte der Norden im August 300000 Tonnen Kunstdünger und 500000 Tonnen Reis. Im Gegensatz zu der gescheiterten früheren „Sonnenscheinpolitik“ will der Süden sich jedoch nicht länger nötigen lassen. Auch die USA wollen sich ohne konkrete Vorleistungen des Nordens bei der atomaren Abrüstung auf keine Verhandlungen und Hilfslieferungen mehr einlassen. Im Gegenteil, als Machtdemonstration wurde der Flugzeugträger „George Washington“ ins Gelbe Meer entsandt. Präsident Obama verkündete, die USA würden ihren koreanischen Bundesgenossen nicht im Stich lassen. Südkoreas Präsident kündigte an, im Wiederholungsfall würde seine Armee Vergeltung üben. Sein Verteidigungsminister musste gehen, weil es 13 Minuten (statt der vorschriftsmäßigen drei) gedauert hatte, bis die südkoreanische Artillerie die feuernden nordkoreanischen Batterien unter Gegenfeuer genommen hatte. Eine Eskalation könnte sehr leicht Krieg bedeuten – zumal die Elf-Millionen-Metropole Seoul in nur 30 Kilometer Entfernung zur Waffenstillstandsgrenze von 1953 voll in Reichweite der nordkoreanischen Fernartillerie und Raketen liegt. Weniger Gefahr droht dagegen von der Marine sowie der Panzer- und Luftwaffe des 1,2-Millionen-Mann-Heeres des Nordens. Ihre Ausrüstung besteht aus sowjetischen Fabrikaten der 60er und 70er Jahre, leidet unter Treibstoffmangel und ist den modernen südkoreanisch-amerikanischen Streitkräften hoffnungslos unterlegen.

Niemand, außer vielleicht der unberechenbaren Führung in Pjöngjang, hat derzeit ein Interesse an einer Neuauflage des Bürgerkriegs von 1950 bis 1953, auch Nordkoreas Schutzmacht China nicht. Allerdings konnte sich Peking bisher weder zur Verurteilung der Torpedierung der „Cheonan“ noch des aktuellen Artillerieüberfalls aufraffen. Nach der Versenkung im März gab es in Peking sogar einen roten Teppich und Bruderküsse für die Kims. Der Inthronisierung von Kim Junior wohnte ein Pekinger Politbüromitglied auf der Eh-rentribüne applaudierend bei. Kein Zweifel, trotz aller internationalen Peinlichkeit ihres Terrorregimes, setzt Peking weiter auf ihre Dynastie, die es mit Nahrungs- und Öllieferungen über Wasser hält. Die fortgesetzte Teilung Koreas und das atomare Risiko des Nordens ist der Pekinger Führung noch immer lieber als eine wiedervereinigte westlich-nationalistische Mittelmacht, die sich dem chinesischen Einfluss entzöge und der großen koreanischen Minderheit in der Mandschurei annehmen könnte. So ruft China lediglich zur Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche zwischen Nord- und Südkorea, Japan, Russland, China sowie den USA auf, die vor zwei Jahren nach jahrelanger Erfolglosigkeit beendet worden waren. Die USA sind dazu allerdings erst bereit, nachdem der Norden nachweisbare nukleare Abrüstungsschritte eingeleitet hat. Dazu sind die Kims freilich noch weniger denn je bereit. Albrecht Rothacher


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