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04.12.10 / Ungewöhnliches Paar / Englischer Philosoph lebte elf Jahre lang mit einem Wolf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-10 vom 04. Dezember 2010

Ungewöhnliches Paar
Englischer Philosoph lebte elf Jahre lang mit einem Wolf

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, argwöhnte der Philosoph Thomas Hobbes und spielte auf das häufig unmenschliche Verhalten des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen an. Dass das Raubtier aus den Wäldern durchaus menschliche Züge trägt, zeigt Mark Rowlands in seinem autobiographischen Buch „Der Philosoph und der Wolf“. Nach seiner Promotion in England zog Rowlands zu Beginn der 1990er Jahre nach Alabama und arbeitete dort als Universitätsassistent für Philosophie. Er kannte kaum Leute und beim Durchblättern der Lokalzeitung fiel ihm eine Kleinanzeige auf: „96-prozentige Wolfswelpen zu verkaufen“. Da die Haltung und Zucht von Wölfen in den Vereinigten Staaten gesetzlich verboten ist, beziehen sich die Inserate immer auf Mischformen. Doch bei dem Tierjungen handelte es sich um einen reinrassigen Mackenzie-Wolf aus Alaska – die fehlenden vier Prozent waren bloß Tarnung.

Kaum zuhause angekommen verwüstete der Welpe die gesamte Inneneinrichtung und den Garten. Es dauerte Monate, bis Rowlands seinem Gefährten, den er Brenin taufte, einige Signale beigebracht hatte: still zu bleiben, bei Fuß zu gehen, aufzubrechen und fallen zu lassen, was er gerade im Maul hatte. „Das war eine Sprache, mein Geschenk an ihn, die es ihm ermöglichte, ein Leben an meiner Seite zu führen“, schreibt der Philosoph. Er richtete fortan seinen Tagesablauf nach dem Tier aus, das sein ständiger Begleiter wurde. Für Freunde und Familie blieb keine Zeit. Jeden Morgen mit Sonnenaufgang schleckte Brenin seinem Herrchen mit rauer Zunge über das Gesicht. Manchmal brachte er ihm auch einen toten Vogel ans Bett. Bei den ausgiebigen Wald- und Wiesenläufen hängte der Vierbeiner den Zweibeiner bald ab. „Ich erkannte“, sagt der Autor, „dass ich hier in Gegenwart eines Wesens lief, das mir in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen war!“

Sogar zu seinen Vorlesungen nahm Rowlands Brenin mit und warnte seine Studenten vorher mit dem Programmhinweis: „Schenken Sie dem Wolf keine Beachtung. Und tun Sie keine Lebensmittel in Ihren Rucksack.“ Selbst auf Reisen war das ungleiche Gespann unzertrennlich. Rowlands deklarierte das Tier freilich nicht als Wolf, sondern als Schlittenhund. Kurios scheint die Episode aus Irland, wo die beiden Kunden eines Dorfladens in heller Aufruhr erlebten, weil in der Umgebung angeblich ein Wolfsmischling herumstreunte. Zum Schutz von Kindern und Schafen forderten alle lautstark, die Bestie zu erschießen, ohne sich um den schlafenden Brenin unter der Ladentheke zu kümmern. In Südfrankreich entwickelte der Wolf eine Vorliebe für Käse und Schokocroissants, für die er schwanz-wedelnd Freudentänze aufführte.

Elf Jahre dauerte die Symbiose zwischen Mensch und Tier, bis Brenin nach einer langen und schweren Krankheit starb. Für Rowlands war es sehr schwer, wieder in ein Leben mit seinesgleichen zurückzufinden. Er heiratete und bekam zwei Kinder.

In einem Interview bekennt er auf die Frage, ob es einen Unterschied machen würde, Menschenkinder oder Wolfswelpen im Hause zu haben: „Er ist nicht so groß, wie man denken würde, nein!“ Heute lebt der Autor in Miami. Für die Zukunft plant er bereits, eine Stätte für alte oder verstoßene Wölfe zu errichten.

Mit Ironie und Intelligenz spürt Rowlands dem Seelenleben des Raubtiers sowie den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Wolf nach. Interessant dabei sind seine philosophischen Überlegungen zu Moral und dem Bösen, zu Trieb und Willen, zu Glück und Hoffnung, zu Liebe und Freundschaft oder zu Zeit und Tod. Auch Philosophen wie Hobbes, Kant und Schopenhauer, Psychologen und moderne Verhaltensforscher kommen zu Wort. Ein tierisches Lesevergnügen! Sophia E. Gerber

Mark Rowlands: „Der Philosoph und der Wolf – Was ein wildes Tier uns lehrt“, Piper-Verlag, München 2010, 284 Seiten, 9,95 Euro


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