25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.12.10 / Deutsche Schizophrenie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Deutsche Schizophrenie
von Konrad Badenheuer

Ein guter Kenner Osteuropas, vielsprachig und psychologisch versiert, gab einmal folgende Einschätzung über den Mentalitätsunterschied zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarn zum Besten: Wenn für die slawischen Völker die Paranoia typisch sein sollte, dann für die Deutschen jedenfalls die Schizophrenie!

Das kleine Bonmot enthält mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Die Furcht Russlands vor der Welt gilt seit Generationen auch unter angesehenen Beobachtern als eine der Konstanten der russischen (und sowjetischen) Politik. In abgestufter Form finden sich ähnliche Phänomene bei anderen slawischen Nationen. Dem serbischen Völkermord in Bosnien in den 90er Jahren etwa ging – um nur ein Beispiel zu nennen – eine primitive, von den Adressaten aber ernstgenommene Propaganda voraus, die Serben selbst seien von Gemetzeln bedroht.

Diese Gefahr bestand so wenig, wie Russland je eine Einkreisung durch ein paar Dutzend US-amerikanische Abfangraketen drohte. Aber das Gefühl war da, und in der Politik sind Emotionen auch dann Fakten, wenn sie im Einzelfall an pathologischen Verfolgungswahn heranreichen.

Eher noch leichter lassen sich Beispiele für die Fähigkeit der Deutschen finden, ungeliebte Vorgänge so gründlich zu verdrängen, dass die Diagnose „Schizophrenie“ nahezuliegen scheint.

Ein Beispiel kann der einhellige Jubel dieser Tage über die vor 40 Jahren vollzogene erstmalige politische (nicht völkerrechtliche) Anerkennung der Oder-Neiße-Linie sein. Der Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 gilt zunehmend noch nicht einmal als ambivalent, sondern schlicht als Glanzstück der deutschen Außenpolitik. Vieles muss dafür verdrängt werden. Es beginnt bei der völkerrechtlichen Tatsache, dass durch Vertreibung geschaffene Fakten nicht anerkannt werden dürfen, und der Warschauer Vertrag deswegen in seinem zentralen Punkt schlicht völkerrechtswidrig war. Doch das wird von kaum einem Medium und keinem einzigen Bundespolitiker mehr auch nur artikuliert.

Dies gilt erst recht für die vielen Einwände, mit denen selbst enge Weggefährten Willy Brandts (und womöglich er selber) damals ehrenwerterweise noch kämpften: Wird dieser Schritt dem Erbe der Nazi-Gegner aus den Oder-Neiße-Gebieten gerecht (man denke nur an Kurt Schumacher)? Wie wirkt er sich aus auf die damals noch weit über eine Million Deutschen im polnischen Machtbereich? Verschafft die Grenzanerkennung nicht dem Regime einen Triumph, entmutigt sie nicht die demokratische polnische Opposition, die über die Vertreibung oft ganz anders dachte als etwa Joseph Stalin, Joseph Fischer oder Wolfgang Thierse?

All das wird heute, 40 Jahre danach, schlicht unterschlagen. Und so manche Zeitung will selbst von ihrem damaligen eigenen klaren „Nein“ zum Warschauer Vertrag heute nichts mehr wissen. Ob es schizophren ist? Deutsch ist es auf jeden Fall.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren