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11.12.10 / Bevor die Würfel fielen / Deutsche Strategie und Planung zwischen der Schlacht um England und dem Russlandfeldzug – Kein früher Generalplan

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Bevor die Würfel fielen
Deutsche Strategie und Planung zwischen der Schlacht um England und dem Russlandfeldzug – Kein früher Generalplan

Vor 70 Jahren war die Luftschlacht um England entschieden, aber der Befehl zur Vorbereitung eines Angriffs auf die Sowjet­union noch nicht erteilt. In dieser Situation stand die deutsche Seite vor der Herausforderung, eine neue Strategie zu entwickeln.

Nachdem die Luftschlacht um England Mitte September 1940 nicht zum erhofften Erfolg geführt hatte, begann deutscherseits die Suche nach einem neuen Kriegsplan. Da die britische Regierung den Krieg unbeirrt fortsetzte, standen – einmal abgesehen von weiteren Friedensbemühungen – drei strategische Ansätze zur Wahl: (1) die Verschärfung des U-Boot-Krieges, um England von seiner Überseeversorgung abzuschneiden; (2) der Angriff gegen die englischen Positionen im Mittelmeer und in Nordafrika; (3) der Versuch, einen Kontinentalblock unter deutscher Führung zu schaffen.

Die Führung in Berlin hatte mit dem Einsatz der Vereinigten Staaten von Amerika zugunsten Englands zu rechnen. Sogar ein Kriegseintritt erschien möglich, wie er von Großbritanniens Premier Winston Churchill angestrebt wurde. Nun stand eine Entscheidung an. Die Marine setzte vor allem auf den Zufuhrkrieg gegen England. Wenn auch Karl Dönitz, der Befehlshaber der U-Boote, den Kampf forcierte, stieg die Zahl der Boote doch sehr langsam, denn im Herbst 1940 erhielt die Verstärkung des Heeres und der Luftwaffe Vorrang. Dies zeigt, wie sehr der Krieg gegen England unter der beginnenden Wendung gegen die Sowjetunion litt. Anfang 1941 gewann die britische Abwehr an Stärke, unter anderem durch den Einsatz von Radargeräten auf Schiffen, und im März gingen drei prominente U-Boot-Kommandanten samt Besatzung verloren, darunter der „Stier von Scapa Flow“, Günther Prien.

In der Zwischenzeit versäumte man die Chance, die Briten im Mittelmeer zu besiegen. Schon am 31. Juli hatte der Generalstabschef des Heeres General Franz Halder die Überführung von zwei Panzerdivisionen nach Libyen vorgeschlagen. Doch Benito Mussolini und seine Generale lehnten ab. Die 10. italienische Armee an der Grenze Ägyptens tat sehr wenig, um die Briten zu schlagen, die damals nur 36000 Mann zählten. Erst nach der Niederlage der Italiener im Dezember erging das Ersuchen um Entsendung einer deutschen Panzerdivision. Daraufhin wurden Truppen unter General Erwin Rommel nach Libyen verlegt, die im April 1941 einen begrenzten Gegenangriff führten. Großadmiral Erich Raeder hatte schon im September 1940 für eine deutsche Offensive im Mittelmeer plädiert. Dies schien ihm die beste Möglichkeit, den Krieg erfolgreich fortzusetzen. Durch die Eroberung Gibraltars und des Suezkanals sollte die Lage der Achsenmächte grundlegend verbessert werden.

Inzwischen hatte der leichtfertige Angriff Mussolinis am 28. Ok­tober von Albanien aus gegen Griechenland in einer Niederlage geendet. Adolf Hitler war über diesen Alleingang verärgert, befahl aber am 13. Dezember, eine Entlastungsaktion von Bulgarien aus gegen Griechenland vorzubereiten. Es drohte die Bildung einer Balkanfront und eine Gefährdung des rumänischen Erdöls. Für Churchill bot sich die willkommene Chance, auf dem Balkan einzugreifen. Aus deutscher Sicht war Italien zu einer Belastung geworden. Wahrscheinlich hätte der rechtzeitige Einsatz deutscher Truppen in Nordafrika zur Gewinnung des Suezkanals gereicht.

Auf politischer Ebene wurde versucht, Spanien und Frankreich am Kampf gegen England zu beteiligen, doch standen diesem Ziel widerstreitende Interessen im Wege. Der Überfall eines britischen Flottenverbandes auf das französische Schlachtgeschwader bei Mers-el-Kebir am 3. Juli rief zwar Empörung hervor, doch Marschall Philippe Pétain verhielt sich reserviert. Hierauf wollte man Spanien gewinnen, um zumindest Gibraltar zu erobern. Doch Staatschef Francisco Franco, der unter britischem Druck stand, verlangte für einen Kriegseintritt einen hohen Preis, darunter die Lieferung von Lebensmitteln und Rohstoffen. Als Hitler am 23. Ok­tober mit Franco und tags darauf mit Pétain zusammentraf, erhielt er keinerlei Zusagen. Das Scheitern dieser Bemühungen lief dem Plan Joachim von Ribbentrops zuwider, einen Kontinentalblock unter Einschluss Frankreichs, Spaniens und anderer Staaten zu gründen, um eine geschlossene Front gegen England zu errichten. Auch der Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan vom 27. September erfüllte nicht die in ihn gesetzte Hoffnung, die USA vor einem Heranrücken an England abzuhalten.

Während die deutsche Führung nach einer Strategie suchte, wurde sie mit dem Problem Sowjetunion konfrontiert. Während Ribbentrop hoffte, die UdSSR in den Kontinentalblock einbinden zu können, wollte Josef Stalin weder ein Bündnis mit den Achsenmächten noch mit Großbritannien. Er schätzte, dass er von Deutschland einen hohen Preis für sein Wohlverhalten verlangen konnte. Als Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow Mitte November nach Berlin kam, präsentierte er konkrete Ziele: Finnland und die Südbukowina, Einbeziehung Bulgariens in die sowjetische „Sicherheitszone“ und Errichtung von Stützpunkten auf den Dardanellen. Außerdem meldete er Interesse an Ungarn, Jugoslawien, Griechenland und Polen an. Die Erfüllung dieser Forderungen hätte Stalins Position gewaltig gestärkt. Hitler gewann den zwingenden Eindruck, dass, falls sie erfüllt würden, man völlig in Stalins Abhängigkeit geraten würde und auch erpresst werden könnte. Dies war für einen Staat, der um seine Großmachtstellung kämpfte, unannehmbar. Hitler kam zur Auffassung, nur die Wahl zwischen Angriff und Unterwerfung zu haben. Obwohl die Weisung Nr. 21 „Fall Barbarossa“ vom 18. Dezember 1940 keinen endgültigen Entschluss darstellte, betrachtete er den Krieg im Osten als unvermeidlich.

Dies soll verdeutlichen, dass es trotz des bereits in Hitlers „Mein Kampf“ niedergelegten offensiven Konzepts mit der Sowjetunion als wichtigstem Gegner keinen militärischen Generalplan zur Eroberung Europas gab. Vielmehr wurde auf der Basis der jeweiligen Lage agiert. Dies hieß ab Ende 1940, sich zunächst auf den Krieg gegen die Sowjetunion zu konzentrieren. Alles, was nach dem erhofften Sieg kommen mochte, gehörte ins Reich des Unwägbaren. Heinz Magenheimer


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