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11.12.10 / Ungelenke Annäherung / Schwaches Familienporträt über die Moltkes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Ungelenke Annäherung
Schwaches Familienporträt über die Moltkes

Armer Autor Thies! Den einzigen Höhepunkt seiner fahrigen Familiensaga hat ihm schon 1972 der DDR-Autor Hermann Kant in seinem Roman „Das Impressum“ vorweggenommen – den (verbürgten) Streit zwischen einem sowjetischen Stadtkommandanten und einem SED-Funktionär um ein Moltke-Denkmal in Parchim, den der Rotarmist gewinnt: Moltke blieb auf seinem Sockel, bis zum heutigen Tag!

Auch Thies lässt den „Generalfeldmarschall“ auf seinem Sockel, herausragend aus den Moltkes als „kaum zu überblickender familiärer Großverband“, aus dem er drei Personen auswählt: Neben Generalfeldmarschall „Moltke dem Älteren“ (1800–1891) erscheinen noch Generalstabchef „Moltke der Jüngere“ (1848–1916), unter dessen militärischer Führung der Erste Weltkrieg bereits nach wenigen Wochen verloren war, und Helmuth James von Moltke (1907–1945), für Thies nur ein angeblicher Widerstandskämpfer und eher ein Playboy voller Angst vor „Tyrannenmord“ und „zweiter Dolchstoßlegende“.

Im Anhang teilt Thies mit, welche Bibliotheken, Archive und Nachlässe er zur Abfassung des Buchs konsultiert hat, und die dabei gefüllten Zettelkästen stülpt er dem Leser gnadenlos über den Kopf. Seine hölzerne Sprache wird mitunter unfreiwillig komisch aufgelockert, etwa durch Pleonasmen („Testversuch“, „weitertradieren“), Anleihen an modernem Nonsensjargon („beide waren begabte Netzwerker“) und gelegentlich karneval-eskem Geraune: „Hinsichtlich des Kriegsausgangs hatte der kleine Helmuth James kein gutes Gefühl“ – 1914, als Siebenjähriger! Auch manche Fehler des Textes sind massive Querschläger, etwa wenn Thies aus dem Begründer der Kroatischen Bauernpartei den „kommunistischen Bauernführer Stjepan Radic“ macht. 

Die Moltkes stammen aus Dänemark und haben als „europäische Familie“ in vieler Herren Länder gedient. Thies möchte ihr Chronist sein, weil „es erstaunlicherweise ... keine Gesamtgeschichte der Familie gab“, belässt es dann aber bei den drei erwähnten Moltkes, deren Porträts ihm unversehens als recht schonungslose Entlarvungen geraten. Den „Nationalhelden“ Moltke d. Ä. porträtiert er als kriegslüsternen Kommisskopp, rüden Antisemiten, „katastrophalen“ Franzosenhasser, Begründer der „Blitzkrieg-Strategie“, der dem Staatsmann Bismarck nicht das Wasser reichen konnte. Interessant an der frühen Karriere Moltkes sei allein sein mehrjähriger Türkeiaufenthalt 1836/40, der ihn – neben seiner Hauptaufgabe als Militärberater – als aufmerksamen Geographen und Ethnographen auswies.

Sein Neffe Helmut Johannes von Moltke machte als „Moltke-Ikone im Umfeld des Kaisers“ Karriere bis zum Generalstabs-chef, starb aber 1916, damals bereits als „religiöser Phantast“ und militärischer Stümper weitgehend isoliert. Und bei dem „Widerstandskämpfer“ Helmut

James von Moltke bleibt der Leser im Ungewissen, was für ein Widerstand das gewesen sein soll – wohl nur der gegen NS-Behörden, die ihn zum Verkauf seines Gutes Kreisau zwingen wollten.

Lesenswert sind in Thies’ Buch vor allem die Passagen über die „starken Frauen“, die die Moltkes ehelichten, mit Vorliebe aus der „englischsprachigen Welt“. Ein eigenes Kapitel ist Dorothy Rose Innes gewidmet, ab 1905 Ehefrau von Helmuth Adolf Edo von Moltke, einem für jegliche zivile oder militärische Verwendung untauglichen Moltke. Was er nicht vermochte, leistete seine englische Frau – das Gut wirtschaftlich auf Kurs halten, notfalls mit „Geldspritzen“ ihrer südafrikanischen Familie. Thies zitiert mit spürbarem Vergnügen aus ihren Briefen, wofür ihm der Leser dankbar sein sollte: Die Kommentare und Spitzen dieser geistvollen Frau, mit denen sie Kaiser und Führer bedenkt, sind so köstlich, dass sie eine eigene Gesamtausgabe verdient hätten. Wolf Oschlies

Jochen Thies: „Die Moltkes – Von Königsgrätz nach Kreisau – Eine deutsche Familiengeschichte“, Piper Verlag, München 2010, gebunden, 374 Seiten, 22,95 Euro


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