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11.12.10 / Krankheit als lohnendes Geschäft / Krankenhäuser, Ärzte, Kassen und die Pharmaindustrie profitieren vom System

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Krankheit als lohnendes Geschäft
Krankenhäuser, Ärzte, Kassen und die Pharmaindustrie profitieren vom System

„Die medizinische Forschung hat so viele Fortschritte gemacht, dass es überhaupt keine gesunden Menschen mehr gibt“ (Aldous Huxley). Können wir heute noch behaupten, dies sei eine Übertreibung? Der österreichische Medizinjournalist Bernd Ehgartner ist nicht dieser Ansicht. Sein neues Buch „Gesund bis der Arzt kommt – Ein Handbuch zur Selbstverteidigung“ richtet sich daher an Kranke und Gesunde. Ihnen können seiner Auffassung nach gesundheitliche und finanzielle Nachteile entstehen, wenn sie naiv in das Medizinsystem hineingeraten. Vor dem Hintergrund bestehender Eigeninteressen von Pharmaindustrie, Krankenhäusern und Ärzten bestehe Anlass zur Sorge angesichts einer Reihe von bedenklichen Tendenzen; auf diese Botschaft lässt sich die Fülle von angeschnittenen Themen hinunterbrechen. Zur Erinnerung: 167 Milliarden Euro flossen 2009 über den Gesundheitsfonds in die gesetzlichen Krankenkassen. 2009 wurde die Berücksichtigung schwerwiegender und kostenintensiver chronischer Krankheiten in das Verteilungskonzept des Gesundheitsfonds mit aufgenommen. Für 80 Krankheiten erhalten die Kassen aus dem Fonds Extra-Zuschläge, während die Ärzte zusätzliche Gewinne durch „Höherstufungen“ von bestehenden leichten Erkrankungen erzielen. Zeitnah senkten die medizinischen Fachgesellschaften die Grenzwerte für Blutzucker oder Cholesterin ab, so dass nun mehr Menschen als vorsorglich behandlungsbedürftig eingestuft werden – „um die Zahl angeblich gefährdeter Patienten in die Höhe zu schrauben?“, fragt Ehgartner provokativ.

Tatsächlich sind Prävention und neue Therapien schon länger ein lukratives Geschäft, was dazu geführt hat, dass nutzlose und sogar schädliche Therapien in großem Stil durchgeführt werden. Einige Beispiele kann Ehgartner anführen. So bieten Firmen teure Gentests an, wobei das Ergebnis im Endeffekt einem Orakel gleichkäme. Dank des neuen Gesundheitssystems gäbe es ein „geschickt eingefädeltes Zusammenspiel von Pharmaindustrie, Forschungsinstituten und Ärzten“. Jeder einzelne sei gut beraten, selbst herauszufinden, was für ihn sinnvoll ist. Auch die sogenannte Fangprämie für weitergeleitete Patienten an Krankenhäuser ist eine Methode, die zu Missbrauch einlade. Häufig sind es Privatpatienten und Kassenpatienten mit einer Zusatzversicherung, die überversorgt werden: „Für Patienten wird heimlich eine Kopfprämie kassiert: Wenn sie eine Zusatzversicherung haben, wird bei ihnen jede nur denkbare Untersuchung und jeder Eingriff vorgenommen, der sich den Kassen in Rechnung stellen lässt.“ Seinen mehr oder weniger ausführlich begründeten Warnungen lässt der Autor jeweils „Tipps zur Selbstverteidigung“ folgen. Diese Ratschläge sind teilweise nützlich, teilweise haben sie kaum Neuigkeitswert.

Es ist auch kein Geheimnis, dass die Pharmaindustrie wenig transparent ist. Sie hat mittlerweile ein Beinahe-Monopol im Bereich der klinischen Forschung erreicht, während die Grundlagenforschung vom Steuerzahler getragen wird. Die Pharmakonzerne investieren hohe Summen in Marketing und Werbung, fördern politische Parteien und senden ein Heer von Lobbyisten aus, um die Entscheidungsträger zu umschwärmen, und nach wie vor werden neue Produkte zu Phantasiepreisen auf den Markt gebracht. Man engagiert „Wissenschaftler als korrupte Mietmäuler“, und es wurden sogar Studien gefälscht, um Medikamente auf dem Markt zu halten. Ehgartner bietet seinen Lesern also eine Mischung von Neuem und Bekanntem, Fakten und weitreichenden Vermutungen, wodurch Spekulationen Tür und Tor geöffnet werden. Immerhin lässt sich dank der Hinweise auf Fachliteratur einiges nachforschen. Sinnvoller wäre es aber gewesen, die stoffliche Fülle auf bestimmte Einzelfallanalysen einzugrenzen.   

            Dagmar Jestrzemski

Bernd Ehgartner: „Gesund bis der Arzt kommt – Ein Handbuch zur Selbstverteidigung, Lübbe, Bergisch-Gladbach 2010, kartoniert, 315 Seiten, 16,99 Euro


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