© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-10 vom 18. Dezember 2010

Freunde bei der Presse und ein altes Privileg

Der Skandal um vertuschten Missbrauch und tausendfache Kinderpornographie trifft eine Schule mit bislang bester Presse. Die Helene-Lange-Schule führt eine stolze Galerie schöner Titel: Unesco-Projektschule, Club-of-Rome-Schule, Trägerin des Deutschen Schulpreises 2007 – sogar zur „Pisa-Siegerin 2002“ hat die Presseagentur dpa diese integrierte Gesamtschule kurzerhand erklärt und unzählige Zeitungen gaben es wieder. Dass das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, in dessen Daten dieser „Erfolg“ hineininterpretiert wurde, der dpa umgehend und deutlich widersprach, drang nicht mehr wirklich durch.

Der – tatsächlich sehr begrenzte – Erfolg der HLS bei PISA hat übrigens eine Ursache, die aufhorchen lässt. Noch aus SPD-Regierungszeiten stammt das Privileg dieser Institution, Schulanfänger vier Wochen vor den Nachbarschulen aufnehmen zu dürfen. Kritiker wie der Bildungsforscher Frank-Olaf Radtke bemängeln, dass die Schulleitung sich so gleichsam „die Rosinen herauspickt“. 55 Prozent der Schüler hätten eine Gymnasialempfehlung, weitere 30 Prozent eine Realschulempfehlung – an anderen Gesamtschulen sieht das völlig anders aus. Auch der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund ist bisher minimal und soll erst jetzt auf vergleichsweise lächerliche zehn Prozent erhöht werden. Beides verzerrt nicht nur den Vergleich mit anderen Schulen. Linke Bildungspolitiker werden nicht müde, zu behaupten, die soziale und nationale Herkunft spiele bei guter Förderung für den Schulerfolg keine große Rolle. Das der HLS gewährte Privileg bei der Schülerauswahl legt nahe, dass sie diese Behauptung selbst nicht glauben. K.B.

Zeitzeugen

Enja Riegel – Als „Superdirektorin“ tritt sie bei Anne Will auf und schreibt Bücher. Nach dem Besuch der Helene-Lange-Schule wurde die 1940 Geborene Lehrerin. Als Direktorin ihrer alten Lehranstalt konnte sie mit viel Wohlwollen der damals linken Landespolitik ihr reformpädagogisches Konzept umsetzen. Der Missbrauchsskandal überschattet nun ihr Lebenswerk. Die Jury des angesehenen Deutschen Schulpreises musste sie bereits verlassen.

Hajo Weber – An der Helene-Lange-Schule hatte der vor zwei Jahren verstorbene Weber nach seinem Studium an der Kunsthochschule Kassel seit 1977 als Kunstlehrer gearbeitet. Bei seinen Schülern war der passionierte Fotograf beliebt. Genau das nutzte er schamlos aus, wie neue Funde im Wiesbadener Stadtarchiv erschreckend belegen.

Gerold Becker – Zusammen mit dem fast vergessenen Professor Helmut Kentler gilt Gerold Ummo Becker als Schlüsselfigur der deutschen Pädophilenbewegung. 1969 kam er an die Odenwaldschule, die er von 1972 bis 1985 leitete und nach Darstellung von Kritikern in eine Art Knaben-Harem umwandelte. Die Zahl der Missbrauchsakte dort geht in die Tausende, nur Verjährung rettete den im Juli 2010 verstorbenen Becker vor der Strafjustiz.

Alice Schwarzer – Man muss die 1942 geborene Feministin nicht mögen, um für ihre Haltung in Sachen Kindesmissbrauch Respekt zu haben. Schwarzer legte sich mit den Befürwortern der Freigabe der Pädosexualität bereits zu einem Zeitpunkt an, als selbst die evangelische Kirche zu diesem himmelschreienden Unrecht schwieg, weil die Vorstellungen der Pädophilenbewegung auf die Jugendarbeit der evangelischen Kirche Einfluss gewonnen hatten.

Andreas Späth – Der christlich-konservative Publizist und Religionslehrer gilt als einer der besten Kenner der deutschen Pädophilenbewegung. Diese sei integraler Bestandteil der linken 68er-Bewegung gewesen: „Hinter der reformfreudig-aufklärerischen Fassade verbargen sich mitunter Strukturen, die an organisierte Kriminalität erinnern“, zeigt er in seiner neuen Dokumentation „Die missbrauchte Republik – Aufklärung über die Aufklärer“ auf.