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18.12.10 / Die Ukraine im Rückwärtsgang / Kiew: In den Kabinettssitzungen wird wieder Russisch gesprochen – EU-Beitritt rückt in weite Ferne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-10 vom 18. Dezember 2010

Die Ukraine im Rückwärtsgang
Kiew: In den Kabinettssitzungen wird wieder Russisch gesprochen – EU-Beitritt rückt in weite Ferne

Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch macht ein Wahlversprechen wahr und bindet sein Land wieder enger an Russland. Doch dabei imitiert er auch die Führungsmethoden Putins. Die Folge könnte eine Zweiteilung der Ukraine sein.

Viktor Janukowitsch wurde am 25. Februar als vierter Präsident der Ukraine vereidigt. Unter die von seinem Amtsvorgänger Viktor Juschtschenko eingeleitete Öffnung seines Landes nach Westen setzte er einen Schlussstrich. Anfang März gewann Janukowitschs „Partei der Regionen“ auch die Parlamentswahl und Mikola Asarow, ein gebürtiger Russe, der seit 1984 in der Ukraine lebt, löste Julia Timoschenko als Regierungschef ab.

Asarow steht an der Spitze eines Kabinetts ohne Frauen, seiner Meinung nach haben Frauen, damit meint er vor allem die Oppositionsführerin Julia Timoschenko, in der Politik nichts zu suchen. Unter Präsident Janukowitsch und Regierungschef Asarow bewegt sich die Ukraine verfassungsmäßig in jene Richtung, die Wladimir Putin ab dem Jahr 1999 in Russland und Alexander Lukaschenko bereits 1994 in Weißrussland vorgegeben hatten: Behinderung und Marginalisierung der Opposition, Druck insbesondere auf die elektronischen Medien, Einsatz der Sicherheitsorgane für innenpolitische Zwecke, das heißt zur Bekämpfung der Opposition, Förderung der wirtschaftlichen Interessen von Oligarchen im Umfeld des Machtapparats. Im September erreichte Janukowitsch ein erstes Zwischenziel, als das Verfassungsgericht eine im Dezember 2004 im Gefolge der „Orangen Revolution“ durchgeführte Verfassungsreform verwarf, welche die Kompetenzen des Präsidenten eingeschränkt hatte.

Unter Janukowitsch haben sich auch die Akzente in der Sprach- und Geschichtspolitik verschoben. Die westlichen, ukrainischsprachigen Regionen des Landes sind in der Regierung kaum vertreten, die stark russifizierte Ostukraine dominiert klar – viele dort wollen neben Ukrainisch auch Russisch wieder zur Staatssprache machen. Am Kabinetts-tisch in Kiew wird bereits wieder Russisch gesprochen, denn Ministerpräsident Asarow, Innenminister Anatolij Mohiljow und zahlreiche andere hohe Amtsträger beherrschen die ukrainische Sprache kaum. Die Regierungskoalition verfügt zwar noch nicht über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Verfassung zu ändern und damit Russisch auch offiziell zur zweiten Staatssprache zu machen, doch tut sie alles, um die russische Sprache zu stärken – und das Ukrainische zurückzudrängen.

In der Geschichtspolitik wird die Bedeutung des Holodomor – das Wortpaar „holod“ (Hunger) und „mor“ (Seuche) bezeichnet den Hungertod von etwa zehn Millionen Ukrainern in den Jahren 1932/33 auf dem Höhepunkt der Stalinschen Zwangskol­lek­ti­vie­rungen –, die unter Juscht­schenko als „Genozid am ukrainischen Volk“ galt, nun erheblich relativiert: Der Holodomor gilt nur noch als eine jener Hungersnöte, wie sie zu Beginn der 1930er Jahre auch in anderen Teilen der Sowjetunion vorgekommen sind.

In der Außenpolitik ist die neue Anbindung an Russland, wie sie bereits zum Wahlprogramm von Viktor Janukowitsch gehörte, am deutlichsten. Bereits am 21. April wurde der Vertrag über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim bis mindestens zum Jahr 2042 geschlossen. Im Gegenzug erhielt die Ukraine lediglich einen „Rabatt“ auf den Preis für russisches Erdgas. Moskau gab nach der Ratifizierung des Vertrages sofort Pläne zur Modernisierung seiner Flotte bekannt, verfolgt jedoch weiterhin seine „South Stream“-Pläne zum Bau einer die Ukraine umgehenden Südpipeline.

Janukowitsch ließ kurz nach seinem Amtsantritt bereits die Pläne eines Nato-Beitritts der Ukraine fallen. Zwar bekennt er sich weiterhin zu einem EU-Beitritt seines Landes, doch erscheint das nur noch als Lippenbekenntnis.

In Russland haben Janukowitschs Positionsänderungen breite Zustimmung gefunden. Präsident Medwedew wünscht sich einen Beitritt der Ukraine zur „Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit“, eines Militärbündnisses früherer Sowjetrepubliken unter russischer Führung. Bisher lehnt Janukowitsch dies ab, weil er im Wahlkampf die Blockfreiheit als Ziel für die Ukraine gefordert hatte.

Die wirtschaftlichen Aktivitäten Moskaus in der Ukraine haben sich unter Janukowitsch weiter intensiviert. So baut Russland das veraltete ukrainische Netz sowjetischer Atomkraftwerke aus. Der Kreml begrüßt jeden Schritt zur Zurückdrängung dessen, was man dort für „Erscheinungen des ukrainischen Nationalismus“ hält. Gerade die Nationalisten gingen jedoch aus den Kommunalwahlen am 31. Oktober als die eigentlichen Sieger hervor.

Zwar konnte die „Partei der Regionen“ ihre Dominanz in weiten Teilen des Landes deutlich ausbauen, doch der erhoffte Erd-rutschsieg blieb aus. Internationale Beobachter beurteilten den Wahlvorgang als nicht den demokratischen Standards entsprechend. Vor allem die kurzfristige Änderung des Wahlgesetzes und die Nutzung administrativer Ressourcen durch die Partei der Regionen im Vorfeld beeinfluss­ten den Wahlverlauf entscheidend. Internationale Beobachter übten scharfe Kritik am Wahlprozess und stellten zahlreiche Verschlechterungen seit den Präsidentschaftswahlen fest.

Die größte Oppositionspartei, die Vereinigung „Vaterland“ von Oppositionsführerin Julia Timoschenko, blieb dessen ungeachtet zweitgrößte Kraft, hat jedoch große Verluste erlitten. Von den Verlusten für „Vaterland“, die in einigen Regionen der Westukraine von der Wahl ausgeschlossen war, konnte vor allem die rechtsradikale Partei „Freiheit“ profitieren. Sie kam landesweit auf 5,1 Prozent der Stimmen, wurde jedoch im westukrainischen Galizien und im Stadtrat von Lemberg stärkste Kraft. Zurzeit sehen Beobachter im Aufstieg des antirussischen Nationalismus in Galizien noch keine Gefahr einer Abspaltung. Doch falls die Galizier eine Bedrohung der ukrainischen Sprache und der Unabhängigkeit des Landes spüren, dann könnte nach Meinung von Experten die radikale Stimmung steigen und damit die Gefahr des Separatismus. Bodo Bost


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