18.04.2024

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18.12.10 / Mobilität als Exzess

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-10 vom 18. Dezember 2010

Mobilität als Exzess
von Johannes Gundlach

Wir reden hier nicht von New York, wo alljährlich das Chaos ausbricht, wenn ein „Blizzard“ mal wieder 20 oder 40 Zentimeter Schnee gebracht hat. Die Amerikaner schaffen es irgendwie nicht, damit fertig zu werden.

Wir reden von Hamburg oder Berlin. Dort kam der Autoverkehr über Stunden zum Erliegen, weil fünf oder zehn Zentimeter Schnee gefallen waren. Hunderte Flüge konnten nicht starten, weil das Enteisungsmittel für die Flugzeuge ausgegangen war: Der Tanklaster mit dem Nachschub war im Stau steckengeblieben, sodass im Ergebnis der Flugverkehr fast völlig zusammenbrach. Auch mit dem Zug kam man nicht sicher pünktlich an. Wer dieser Tage mit der Bahn quer durch Deutschland reist, muss sich auf beträchtliche Verspätungen einstellen.

Besonders ärgerlich sind solche Verspätungen natürlich für jene, die unter Zeitdruck stehen. Da helfen die Bahnsteigdurchsagen wenig, die um Verständnis bitten. Auch die Fluggäste, die zu Hunderten auf dem Boden der Airports kampieren mussten, äußerten sich wenig begeistert über die Umdisponierung ihrer Urlaubsreise oder ihres Geschäftstermins. Viele denken auch, dass dieser ganze Ärger sich doch irgendwie hätte verhindert lassen.

Der Winter kommt in diesem Jahr zwar früh, aber doch auch nicht gänzlich unerwartet oder anders als sonst. Was hier von den Medien als „Schneechaos“ bezeichnet wird, ist eigentlich nichts weiter als ein ganz normaler Wintertag. Dass solch ein Naturereignis zum Ärgernis wird, scheint doch an anderen Dingen zu liegen.

Die Mobilität der Menschen – sei es in Freizeit oder Beruf – wird zum Exzess ausgebaut. Muss man tatsächlich im Dezember oder Januar an einem Tag drei Gesprächstermine absolvieren und dafür 2000 Kilometer durch Deutschland fliegen? Das jedenfalls hält ein mir bekannter Wirtschaftsprüfer für normal beziehungsweise „alternativlos“. Für normal hält man hierzulande auch, dass wir uns 20 Jahre nach der deutschen Vereinigung zwei Standorte (Bonn und Berlin) für Ministerien leisten, was zusätzliche Mobilität erfordert.

Das sind nur einige Beispiele aus einer Welt, wo die massenhafte Dauermobilität alternativlos erscheint. Die schöne neue Hochgeschwindigkeitswelt beruht auf der Voraussetzung, dass Mensch und Maschine ständig unter Vollast und ohne Fehler funktionieren. Von den 1500 Flugzeuge, wie in Frankfurt am Main, darf kein einziges stehen bleiben. Sonst gibt es einen Riesenstau. Kann man sich eigentlich gegen dieses Mobilitäts- oder Geschwindigkeitsdiktat wehren? Viele würden hier mit Nein antworten. Alles scheint als Naturgesetz. Dabei sind die echten Naturgesetze ganz andere. Sie bestehen zum Beispiel aus Schnee und Eis im Dezember.


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