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18.12.10 / Schlimmer als tot? / Schicksalsschlag trifft Paar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-10 vom 18. Dezember 2010

Schlimmer als tot?
Schicksalsschlag trifft Paar

„In guten wie in schlechten Zeiten, in Krankheit und Gesundheit, bis dass der Tod uns scheidet.“ Alix Kates Shulman hat wie so viele sich nie Gedanken dar­über gemacht, welche Konsequenzen dieses Eheversprechen für sie haben könnte. Sie hat ihr spätes Glück mit ihrer Jugendliebe Scott York, den sie erst in der zweiten Lebenshälfte wiedertraf und heiratete, genossen, machte sich keine Gedanken darüber, dass sie beide nicht mehr die Jüngsten waren. Wie jedes Jahr fuhren sie auch im Sommer 2004 in ihr Haus am Meer, verdrängend, dass die damit verbundenen Strapazen und das keineswegs barrierenfreie Haus eigentlich nichts mehr für sie waren.

Die 1933 geborene Autorin beginnt ihren Erfahrungsbericht „Zu lieben was ist“ äußerst spannend. Gleich zu Beginn des Buches erfährt der Leser, dass ihr Mann im Alter von 75 Jahren bei seinem Sturz nicht starb, aber das, was kam, keineswegs weniger schrecklich war. Stück für Stück beginnt sie dann, den Unfall nachzuerzählen, lässt den Leser an ihrer Erleichterung teilhaben, als endlich der Rettungsdienst kommt und ihr Mann ärztlich behandelt wird. Aber dann wirft sie ihn in das emotionale Chaos, das sie selbst empfand, als sie erfuhr, dass ihr Mann zwar überlebt, aber von nun an nie mehr er selber sein würde. Schädelhirn-Trauma, so lautete die Diagnose. Doch was so kurz gesagt ist, bedeutete für Alix Kates Shulman, dass ihr Leben fortan nicht mehr so war wie zuvor. „Wer ist dieser orientierungslose Mensch mit seiner seltsamen Mischung aus Verstand und Verwirrtheit, der ebenso irrational wie phantasievoll ist? Der würdevolle, galante Mann, den ich liebe, ist aus dem ihm auferlegten Schweigen als redseliger Fremder zu sich gekommen – manchmal ein Clown …, manchmal ein derber alter Mann …“ Der starke, ruhige Mann an ihrer Seite brabbelte plötzlich unverständliche Wörter vor sich hin, konnte nur langsam Situationen erfassen und litt unter dem Fehlen seines Kurzzeitgedächtnis. Manchmal geriet er außer sich und beschimpfte seine Mitmenschen unflätig oder machte absolut Unerwartetes, so dass er stets beaufsichtigt werden muss­te.

Doch „Zu lieben was ist“ ist trotz des schweren Schicksalsschlags, den die Autorin und ihr Mann erlitten haben, und trotz der vielen Auf und Abs im Genesungsprozess ein positives Buch. Es lebt von dem Wechsel zwischen gemeinsamer Vergangenheit und neuer Gegenwart des Ehepaares. Beides schildert die New Yorker Intellektuelle und ehemals radikale Feministin angenehm emotional und berührend, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken, so dass ihr Buch Menschen in einer ähnlichen Situation durchaus Mut machen kann. Rebecca Bellano

Alix Kates Shulman: „Zu lieben was ist“, Lübbe, Köln 2010, gebunden, 268 Seiten, 16,99 Euro


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