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25.12.10 / Die Deutschen und ihr Wald / Mehr als die Summe vieler Bäume: Symbol unserer nationalen Identität

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

Die Deutschen und ihr Wald
Mehr als die Summe vieler Bäume: Symbol unserer nationalen Identität

Der Wald der Deutschen bewegt die Welt - weil er mehr ist als eine Ansammlung von Bäumen. Er gilt auch als Symbol nationaler Identität, was ja durchaus auch positiv gedeutet werden darf.

Land der dunklen Wälder - bei diesen Worten wird nicht nur Ostpreußen weh ums Herz, erinnern sie doch schmerzlich an den Verlust der geliebten Heimat. Mit diesem ihrem Lied wird zugleich signalisiert, dass man ihnen zwar die geografische Heimat rauben kann, nicht aber die Einbindung in eine gesamtdeutsche nationale Identität. Deren vielleicht eindrucksvollstes Symbol ist der Wald. Die Deutschen und "ihr" Wald - eine Faszinosum und Mysterium.

Der Wald war von Anfang an Bühne der deutschen Geschichte. Als vor 2000 Jahren Hermann der Cherusker antrat, die "frech gewordenen" Römer aus dem germanischen Siedlungsraum zu verjagen, wählte er als Schlachtfeld einen Wald. Welchen, weiß man nicht genau, der Teutoburger Wald war es wohl nicht. Der Sieg in der Varusschlacht jedenfalls begründete später den Mythos vom Wald, der den Deutschen ungeahnte Kräfte verleiht.

Auch im Nibelungenlied, das den Übergang von der germanischen zur deutschen Geschichte literarisch markiert, ist der Wald zentraler Handlungsort. Ihren Höhepunkt aber erlebte die Mystifizierung des Waldes zur Zeit der Romantik.

Joseph von Eichendorff, der schlesische Lyriker (1788-1857), traute dem "rauschenden Walde" zu, die verloren geglaubte ästhetische Einheit von Mensch und Natur zurückzugeben.

Die Brüder Friedrich und August Wilhelm von Schlegel, Ludwig Tieck und Friedrich von Hardenberg, bekannt als Novalis, suchten und fanden im Wald das literarische Rüstzeug, um den Menschen das wiederzubringen, was mit zunehmender Dominanz der Naturwissenschaften verloren schien: die Stimme des Herzens, begleitet vom Rauschen der Wipfel.

Adalbert Stifter rühmt die "Würde des Waldes", seine "ungemeine Mächtigkeit" und Erhabenheit. Für ihn und seine Leser ist im Walde "die Welt voll Ruhe und Herrlichkeit". Da wird der Mensch wieder klein und demütig, so dass er im "kaum vernehmlichen, schwach erhabnen Sausen" noch das "Atemholen des Waldes" vernimmt. Da spürt der Dichter "des Waldes heiligen Ernst", da staunt er, wie "alles sich ändert und bleibt doch alles dasselbe - da zeigt sich im Kleinsten die Größe der Allmacht".

Freischütz-Komponist Carl Maria von Weber bleibt eher ambivalent: Sein Opern-Wald ist auch Ort des Schreckens, des Fremden, der Gefahr. Zugleich aber weist er dank der Kraft der göttlichen Schöpfung den Weg zur Erlösung.

Die Sicht der Romantiker entspricht einem menschlichen Urinstinkt. Der Wald ist die Außenwelt, die den eng begrenzten Lebensraum des Menschen, seine "Innenwelt", umringt. Anfangs scheint diese Außenwelt düster, undurchdringlich, beängstigend. Aber sie macht den Menschen in seiner kleinen Lichtung auch neugierig, sie lockt ihn mit den reichen Gaben der Natur.

Die französische Schriftstellerin (und Deutschland-Expertin, würde man heute sagen) Madame de Stael sah ebenso wie Heinrich Heine den deutschen Wald als Symbol für ein ländlich-sittliches Gegenbild zur französischen Urbanität. Eine Sichtweise übrigens, die sich genauso stark in jenen Regionen findet, die sich dem Pariser Zentralismus besonders heftig widersetzen. Etwa in der Bretagne, deren Befindlichkeit von zwei elementaren Naturmächten bestimmt ist: Meer und Wald. Brocéliande und Huelgoat, die Märchenwälder des König Artus, Heimat des Sagenkreises um Gral, Merlin und Lancelot, finden ihre Entsprechung im Märchenwald der Gebrüder Grimm.

Und beim weihnachtlichen "Oh Tannenbaum" und "Von drauß’, vom Walde komm ich her" sind wir Deutschen wieder einmal ganz eins mit unserem Wald. Hans-Jürgen Mahlitz


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