26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
25.12.10 / Ein Herz für Spendenquittungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

Moment mal!
Ein Herz für Spendenquittungen
von Klaus Rainer Röhl

Jeden Tag laufen Bilder aus den Elendsvierteln Afrikas oder Asiens über den Fernsehschirm. Fast immer sind es schreckliche, die Zuschauer erschreckende Bilder. Von Dürren und Hungerkatastrophen, von Überschwemmungen, Erdrutschen, Bürgerkriegen, Toten, Gefolterten, Verstümmelten, Vergewaltigten, Müttern mit Kindern, halbverhungerten oder kranken Kindern in ihren jämmerlichen Behausungen, Flüchtlingen, die zu Tausenden auch noch diese jämmerlichen Behausungen verlassen

mussten, weil Kriege, Überschwemmungen und Dürren sie zur Flucht gezwungen haben. Kaum einer nimmt noch Notiz von dem Alltag des Elends. Es muss schon etwas außergewöhnlich Elendes im Elend passieren. Wie Haiti. Zu der unfassbaren Katastrophe mit 500000 bis 800000 Toten nun noch die Cholera. Sterbende Kinder in ihren Exkrementen, die Fliegen tummeln sich in ihren Wunden. Großaufnahme. Der Fotograf hofft, dass dieses Foto am Ende des Jahres preisgekrönt wird.

Wie reagiert das deutsche Publikum auf diese Flut des Elends in unsere Wohnstuben? Während die Familien, alleinerziehende Mütter und Väter, Singles und Patchwork-Pärchen und normale Eltern den ziemlich detaillierten Wunschzettel ihrer Kinder noch einmal durchgehen, und überlegen, ob sie sich zu Weihnachten den wirklich allerneuesten Hit der Unterhaltungs-Elektronik kaufen wollen, ein Gerät, mit dem man alles abspielen, laden, runter- und raufladen kann, was es überhaupt gibt. Nein, unsere Kinder kriegen sowas nicht. Aber die Nachbarskinder haben ihn schon. Das sind so Probleme.

Welche Wirkungen haben die Nachrichten, Fotos und Fernsehsendungen aus Elendsvierteln mit Seuchen und Hungerkatastrophen? Ein kurzes Innehalten und dann, wie ein Reflex: Spenden! Wenn möglich durch schnellen Klick per Internet, mit Telebanking. Eventuell auch noch an Heiligabend bei dem alljährlich (einzigen) Kirchenbesuch, wenn möglich mit Bachkonzert, Chor und Solisten. Stille Nacht. Spenden sind raus. Die Deutschen sind geradezu Weltmeister im Spenden. Sie beantworten wie die anderen Europäer die Anforderungen des Weltgewissens kurz und entschlossen per Mausklick.

Am Wochenende vor Weihnachten dann die Krönung mit Gummibärchen-Thomas. Der muss diesmal ganz besonders lässig und gut gelaunt rauskommen und die Zuschauer vergessen lassen, dass der von ihm in die Arena geschickte Springer über fünf Autos, Samuel Koch, vermutlich für sein Leben lang ein Krüppel bleiben wird. Der passt jetzt nicht zur Gala, den hat man deshalb eine Woche vorher im Jahresrückblick bedacht, indem man seinen Vater zwei Minuten zu Wort kommen ließ. Schicksal! Kann jedem passieren, darf aber jetzt nicht ablenken vom Elend der Welt und der Größe der Spendensumme. Haben wir nicht im vorigen Jahr schon 14 Millionen an Spenden eingespielt? Die Zahl muss überboten werden. Durch Anwerben von Promis und spendenfreudigen Firmen. Natürlich, das betonen alle, wegen der Kinder, die ihnen am Herzen liegen. Die Schau heißt ja auch "Ein Herz für Kinder". Ein Mammutprogramm mit vielen kleinen Gags. Drei Kinder agieren als Tagesschausprecher und bemühen sich, so zu reden wie Tom Buhrow und Caren Miosga. Sie haben "nur gute Nachrichten" vorzutragen: die Spenden, die alle Firmen gegeben haben. Unter 250000 Euro macht es keiner. Wer immer die Kinder dressiert hat, hat es gut hingekriegt. Sie sagen, altklug und etwas affig, ihren Text auf und machen auch mal eine scheinbar spontane Bemerkung - "süß!", ruft die europaweite Fernsehgemeinde wie aus einem Mund.

Die schlechten Nachrichten über das Elend der Welt und die verkrüppelten und halbverhungerten, krebs- und herzkranken Babies verkünden, unterstützt von drastischen Filmaufnahmen, die Helden des Abends, die Ärzte und Helfer, die an diesem Abend ausgezeichnet werden wie der ehemalige Kaiser-Franz-Joseph-Darsteller Karlheinz Böhm, der seit 30 Jahren in Äthiopien Kindern hilft und das "Ehrenherz" bekam. Stargast des Abends war der englische Prinz Harry, den alle gerne mit "Eure Hoheit" anreden und der neben Frau Springer sitzen darf, denn er ist natürlich noch etwas "hipper" als Christian Wulff, der nur Bundespräsident ist. Harry hilft Kindern in Afrika und erhält an diesem Abend das "Goldene Herz".

Vergessen wir nicht, auch die Kameras vergessen sie nicht, die Hausfrauengruppe aus dem Taunus und die Schüler aus Bottrop, die ihr ganzes Taschengeld gestiftet und in der Schule gesammelt haben. Die Angestellten von Penny und Rewe auch. Eine Riesensumme, die sie sich selbst vom Munde abgespart haben. Sich selbst und den Kunden. Ganz kleine Beträge, jeder einen Cent, wo bei Penny sowieso schon alles so billig ist. Und der Chef hat noch mal die gleiche Summe draufgelegt. Das hat der Chef von C&A auch und jedes Mal wenn eine Million gespendet ist, sagt Gottschalk ganz überrascht "Wow" und kann es gar nicht glauben und er hält noch einen besonderen Schlussgag an diesem Abend bereit: einen besonders noblen Spender, der Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer, der offenbar wirklich gut durch das Krisenjahr gekommen ist, denn der hat sich schon vor der Sendung verpflichtet, auf die Endsumme, die bei der Gala herauskommen würde, noch einmal zehn Prozent draufzulegen. Das machte, nachdem am Ende noch der Boxer Wladimir Klitschko mal eben 175000 Euro auf den Tisch geknallt hatte wie ein As beim Pokerspiel, alles in allem 15,4 Millionen Euro.

Was lernen wir daraus? Das Ziel waren nicht die Kinder. Der Weg ist das Ziel. Das Ziel war der Erfolg der Gala. Die knapp 15 Millionen sind geradezu grotesk wenig im Verhältnis zu den selbst für die Linderung des äußersten Elends nötigen Summen. Ganz zu schweigen von der Änderung der Politik und der Korruption in den von Diktatoren und

Despoten regierten Entwicklungsländern, deren Zustände weder die USA noch die schwerreichen Ölländer oder die EU ändern können oder wirklich wollen. Im Mittelpunkt standen nicht die Kinder, sondern die Spender. Und das waren alle, das deutsche Volk, die Schweizer und die Österreicher und die Schüler, die ihr letztes Taschengeld gegeben hatten, und die Gummibärchenfirma, die mal wieder mächtig zugeschlagen hat, so, als wenn es diesmal um die letzte Gala mit Gummibärchen-Thomas gegangen wäre. Mit einer Million. Alles war nur ein Spiel, die Großspenden zahlt der Staat, denn die kann man von der Steuer absetzen. Alles Drumherum ist Selbstbetrug, das weiß jeder, sogar die meisten Zuschauer wissen es und hatten doch mit hoher Einschaltquote die Sendung gesehen, trotz des spannenden Krimis, diesmal aus Istanbul.

Der Heilige Abend ist gesichert. "Der Braten liegt wohlig tief in den Därmen/ Möge Gott die Hungrigen speisen und die Frierenden wärmen." Alle konnten nun aufatmen. Angesichts der aus den Fängen der Menschenhändler in Nepal geretteten Kinder, der von der Cholera geheilten kulleräugigen Babies und der kleinen Melissa, die ein neues Herz bekommen hat. Durch "Ein Herz für Kinder"! Nur der zweijährige krebskranke und erfolgreich operierte Fynn ließ als einziger Gottschalk mal richtig unwirsch werden, weil er, noch zu klein, um mit allen anderen Teilnehmern mitzuspielen und die Schau mitzumachen, sich weigerte, in die Kamera zu lächeln und sich hartnäckig abwandte. Wie es viele von uns nicht getan haben, es aber in Zukunft tun sollten.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren