25.04.2024

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25.12.10 / "Zu alt?!"

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

"Zu alt?!"
von Hans Bahrs

Ich weiß nur noch, dass ich ein kleiner Schuljunge war, der seine ersten großen Ferien bei den Grosseltern verlebte, als mir Jepp Andersen damals zuerst begegnete. Mein Onkel baute sein Haus. Das war auf dem kargen Heideflecken, der zwischen den Marsch-wiesen aufgespart zu sein schien. Unweit des Meeres zogen sich in der Ferne die Hügel entlang, die eine viele Kilometer lange Kette bilden. Jepp Andersen war unser Mauermann. Später musste ich immer an seine großen, verarbeiteten Hände denken, mit denen er sich wie spielend die Steine griff. Die Mauern des kleinen Hauses wuchsen damals schnell. Das dankte mein Onkel vor allem dem Geschick und der nimmermüden Kraft Jepp Andersens.

Der Mann war immer sehr nett zu uns. Manchmal hob er mich oder einen der Jungen aus der Nachbarschaft beim Hosenboden auf und balancierte uns auf der flachen Hand durch die Luft. Man saß darauf wie auf einem Schaukelbrett. Die Mutter schalt dann immer. Denn Jepp Andersen nahm sich nicht die Zeit, seine gewaltigen Hände vom Zement zu reinigen, wenn er uns beim Hosenboden packte. Manchmal hob er uns auch in die luftige Höhe der Gerüste hinauf, damit wir uns die Welt von oben betrachten konnten. Wir waren mächtig stolz auf unseren starken Freund. Alle Maurer, die mir später begegneten, verglich ich mit Jepp Andersen. Das war sicher ungerecht. Denn wer konnte es mit seiner Kraft aufnehmen?

Vor einigen Wochen kam ich zufällig wieder in das Dorf meiner Kindheit. Jepp Andersen saß vor der Tür seines kleinen Hauses und schälte Kartoffeln. Er machte dabei ein grimmiges Gesicht, als wollte er sie einzeln zerquetschen. Auch mich begrüsste er nicht gerade freundlich. Er schien missge-stimmt. Vielleicht kam es daher, weil seine Frau nun auf Arbeit ging und er das Haus in Ordnung halten musste.

Jepp Andersen ist noch nicht alt: So um die 50 herum. Seine Hände schienen mir noch gewaltiger zu sein als früher. Er zeigte mir seinen Garten und spielte dabei mit einer schweren Forke, als sei sie ein Spielzeug für Kinder. − "Kannst du dir vorstellen, dass diese Hände den Kochlöffel schwingen?", fragte er so nebenbei und hielt mir seine Fäuste unter die Nase. Mit einer Hand konnte er bequem mein Gesicht zudecken. Ich murmelte etwas in mich hinein. "Zu alt!" höhnte er. Er schleuderte die Forke in eine Ecke. Dabei legte er mir eine Hand schwer auf die Schulter: "Und unsere Mutter muss nun arbeiten gehen, damit wir nicht verhungern! Sag mal, verstehst du diese Welt noch? Ich nicht!" Grimmig schüttelte er dabei seinen Schädel, dass die eisgrauen Haare wild im Winde flatterten. Ich sah ihn dann noch in der nied-rigen kleinen Küche hantieren. Wahrhaftig, ich fürchtete, er möchte die Töpfe, die Pfanne zerdrücken, so sprang er mit ihnen um. Jepp Andersen kam mir vor wie ein gereiztes Raubtier, das man in einen Käfig gesperrt hat. Wir sprachen nicht mehr viel. Was sollte ich auch Tröstliches sagen? Ich wusste ja um das Elend der Arbeitslosen.

In der Nacht darauf konnte ich nicht einschlafen. Ich hörte immer die grollende Stimme Jepp Andersens: "Zu alt?!" und dazu sein hartes Lachen. Immer standen mir seine Hände vor Augen, die feiernden Hände. Die wurden groß, riesengroß.

Als ich endlich einschlummerte, rückten sie etwas weiter von meinem Gesicht fort. Aber dann waren es plötzlich nicht mehr zwei, es waren viele tausend große, schwere Hände, die alle stumm und fordernd auf mich eindrangen. Hände, denen man kein Werk gönnte, Hände, die feiern mussten wie Jepp Andersens Hände, von denen ich wusste, wie sie zupacken können.


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