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25.12.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel / Sie kratzt / Wie uns schon wieder der Winter überrascht, warum uns die Führung in Europa keinen Spaß macht, und wie Merkel draußen strahlt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Sie kratzt / Wie uns schon wieder der Winter überrascht, warum uns die Führung in Europa keinen Spaß macht, und wie Merkel draußen strahlt

Wollen die uns absichtlich ärgern? Im betont unbeteiligten Singsang eines Nachrichtensprechers verabreichte uns das Fernsehen vergangenen Sonntag diese guten Tipps: "Die Lufthansa empfiehlt ihren Kunden, mit der Bahn zu fahren. Die Deutsche Bahn empfiehlt ihren Kunden, zu Hause zu bleiben." Sagenhaft!

Ja, es ist schon wieder passiert: Mitten im Dezember hat uns der Winter überrascht. Wer konnte  denn damit rechnen? So mancher Winterdienst jedenfalls nicht: In einigen Berliner Bezirken haben sich die Räumfirmen still und leise vom Acker gemacht. Die Firmen hatten, behaupten erboste Politiker, vermutlich mit einem milden Winter kalkuliert und sich aufs Geldverdienen fürs Nichtstun eingestellt. Nun hätten sie gar nicht die Geräte und das Personal, um dem echten Winter zu Leibe zu rücken - daher die Flucht.

Das klingt immerhin schlüssig. Andere Meldungen erzeugen dagegen nur Ratlosigkeit: Es könne nicht gestreut werden, weil die Streukästen eingefroren seien, hören wir da. Oder: Der Salztrans­port sei nicht zu den kommunalen Lagern durchgekommen - wegen der winterlichen Witterung. Hört sich an wie: Das Schiff ist gesunken, weil der Fluss unerwartet Wasser führte.

Die Briten sind da weitaus kompetenter: Sie haben begriffen, dass die ersten, die unter der Last des Winters schlappmachen, die Räumkommandos sind. Auf der Insel verzichten sie daher ganz und gar auf einen organisierten Winterdienst. Man schneit nämlich viel gelassener ein, wenn man sich nicht alle paar Minuten grimmig fragt, wo "die" denn schon wieder bleiben.

Die Briten zeigen allerdings auch deshalb mehr Gelassenheit als wir, weil sie davon viel mehr benötigen. Während für die aufgelaufenen Flugpassiere in Frankfurt am Main wenigstens Feldbetten aufgestellt, Essen ausgereicht und sogar ein bisschen weih­nachtliche Unterhaltung organisiert wurde, lagen die Gestrandeten in London mit knurrendem Magen auf dem harten Boden herum. Nicht mal Weihnachtsmänner ließen sich blicken.

Da ist es wieder, dieses typisch deutsche Hochgefühl: Auch wir haben zu hohe Schulden, verstopfte Flughäfen und säumige Bahnen. Doch fast alles, was wir schlecht machen, das machen die anderen noch schlechter. Da kommt man sich in seiner trüben Einäugigkeit beinahe vor wie Häuptling Adlerauge höchstpersönlich.

"Häuptling" hört sich toll an. Irgendwie wollten wir die Rolle ja immer schon haben in Europa, weil wir fanden, dass sie uns zusteht: Wir Deutsche sind die volkreichsten und die wirtschaftsstärksten, und zahlen tun wir auch am meisten. Jahrzehntelang dröhnte uns dessen ungeachtet in den Ohren: "Die Bundesrepublik ist ein wirtschaftlicher Riese und ein politischer Zwerg." Freunde, hat uns das genervt.

Jetzt, so heißt es aus allen europäischen Hauptstädten mit dem Unterton von Verwunderung, Neid und regelrechtem Groll, jetzt hätten die Deutschen tatsächlich die Hosen an in der EU. Deutschland sei unbezweifelbar die Führungsmacht, räumen sogar französische Medien ein. Donnerschlag!

Und? Sind wir glücklich darüber? Nicht wirklich: Die Hosen kratzen ärger als wir gedacht hatten. Vom Gesäß bis zum Knöchel piksen uns Forderungen, Vorwürfe und die Missgunst der anderen. "Alles dreht sich um das Ende der deutschen Bereitschaft, Schecks auszuschreiben für Länder an der europäischen Peripherie", urteilt der britische Harvard-Historiker Niall Ferguson kalt und herzlos.

Die "Peripheren" haben uns tatsächlich regelrecht gefressen: In Athen brennen deutsche Fahnen. Selbst das früher so deutschfreundliche Spanien gafft ziemlich säuerlich zu seinem großen nordischen Bruder hinüber. Ego­isten seien wir, weil wir nicht für ihre Schulden über Euro-Anleihen geradestehen wollen. Ja, so reden die jetzt über uns. Und was sagen wir? Wir sind beleidigt: Sind die alle hässlich zu uns! Wie konnten wir in diese Lage geraten? Na ja, die anderen sind halt auch Menschen. Wer einem Fremden, der knapp bei Kasse ist, einfach so Geld schenkt, der bekommt es mit Dankbarkeit vergolten. Das bleibt aber nicht so: Beim zweiten, dritten oder zehnten Mal kommt das Danke schon lauer daher.

Fällt beim dreißigsten oder vierzigsten Mal die Gabe dürftiger aus als zuvor, mault der Beschenkte sogar beleidigt los: Wo bleibt "mein" Geld? Eröffnet man ihm schließlich, dass die eigenen Möglichkeiten begrenzt sind und er sich bitte selber mal am Riemen reißen sollte, bricht ein Sturm los aus Wut und Verachtung: "Egoist!" "Dieb!"

So ist das eben, bei Leuten wie bei Ländern. Schnell hat sich der plötzlich weniger Beschenkte auch eine Theorie zurechtgebastelt, dass die Schenkerei von Anfang an eine fiese Falle gewesen sei, planvoll ausgebrütet in der schwarzen Seele des scheinbaren Gönners. Auf Spanisch liest sich das so: Hinterhältig haben uns die Deutschen den Euro untergejubelt, um uns danach mit billigem Geld fluten zu können. Nun lassen sie uns kalt absaufen. War alles ein einziger Nepp, von Anfang an! Außerdem haben uns die Germanen als EU-Nettozahler nur unterstützt, damit wir ihnen einen Mercedes oder BMW abkaufen.

Natürlich bleiben in der Theorie von der deutschen Verschwörung einige Details offen. Etwa, dass die Spanier heftig für die Einführung des Euro waren, im Gegensatz zu den skeptischen Deutschen. Oder, dass Spanien mit dem billigen Geld auch seine Wirtschaft hätte reformieren können, statt seine Küsten mit nutzlosen Betonwüsten zu verschandeln. Auch würden wir gerne wissen, wieviel Geld die Iberer denn von den Japanern und Koreanern fürs Toyota- und Hyundai-Kaufen bekommen haben.

Antworten darauf kriegen wir keine. Stattdessen geben sich Politiker und Experten auf der Halbinsel heftig Mühe, die düstere Stimmung gegen Deutschland anzuheizen. Mit einem guten schlechten Grund: Sie hatten ihren Leuten den Euro wärmstens ans Herz gelegt und sich zehn Jahre lang im Erfolg ihres goldenen Ratschlags gesonnt. Nun müssen sie dringend jemanden finden, der an ihrer Stelle schuld ist am Desaster, das ihrem faulen Zauber auf dem Bocksfuß folgte. Sie fanden uns.

Das einfache Volk nimmt ihnen das allerdings kaum ab, wie die Diskussionsforen im spanischen Internet enthüllen: "Nachdem sie zehn Jahre lang gearbeitet und gespart haben, sollen die Deutschen nun unsere Sause bezahlen? Warum sollten sie?" fragt einer. Und solche Stimmen sind allem Anschein nach deutlich in der Mehrheit. Manchen erschrickt jedoch die neue deutsche Stärke: "Demnächst ist Spanien ein deutsches Protektorat!" Ja und?, witzelt ein anderer: "Heißt das, dass wir dann von der Merkel statt vom (spanischen Premier) Zapatero regiert werden? Dann so schnell wie möglich!"

Von der Merkel regiert werden? Man glaubt es kaum, aber von draußen sieht Deutschland nicht nur viel stärker aus als von drinnen. Auch unsere Kanzlerin strahlt jenseits der Grenzen viel kräftiger. Alles eine Frage der Perspektive. So völlig falsch liegen die da draußen vielleicht auch gar nicht. Denn wer über die Grenzen schaut und sehen muss, wovon sich unsere lieben europäischen Freunde regieren lassen müssen, den befällt stolze Zufriedenheit.

Ob sie aber bei der "strikten" Ablehnung der Eurobonds bleibt? Unbeeindruckt von seiner Niederlage auf dem EU-Gipfel nestelt Jean-Claude Juncker weiter an unserer Kasse herum: Die Idee sei nicht tot. Soll heißen: Die Räuber bleiben uns auf den Fersen. Und unser Schäuble, der Freund der Eurobonds, zwinkert ihnen sogar zu. So werden die Deutschen die dritte Weihnacht auf glühenden Kohlen verbringen, wenn sie an ihr Geld denken. Allerdings hat das scherzhafte Brennen an unserer Führungshose auch sein Gutes: Wir bleiben wenigstens wach für den Moment, wenn die Geier kommen.


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