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01.01.11 / Am Tatort eines Unrechtsstaats / Berlin: Gefängnis an der Keibelstraße wird Gedenkort für Opfer von DDR-Verbrechen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-10 vom 01. Januar 2011

Am Tatort eines Unrechtsstaats
Berlin: Gefängnis an der Keibelstraße wird Gedenkort für Opfer von DDR-Verbrechen

In der Berliner Keibelstraße sperrte das DDR-Regime politische Gegner mit Schwerkriminellen zusammen. Der Ort, an dem der rote Unrechtsstaat  noch heute sichtbar ist, soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Als der Karstadtkonzern 1931 in der Nähe des Alexanderplatzes in der Keibelstraße ein neues Verwaltungsgebäude errichten ließ, ahnte niemand, welch bewegtes Schicksal der Bau erleben würde. 1932 bezog Karstadt dort seine neue Hauptverwaltung, ab 1934 residierte das Statistische Reichsamt an dieser Adresse.

1945 war das Gebäude schwer in Mitleidenschaft gezogen. In dem wiederhergestellten Gebäude sollte schließlich die Volkspolizei der DDR ihr neues Präsidium finden. Hinzu kam ein großes Untersuchungsgefängnis: 140 Zellen mit vergitterten Fenstern, Zellentüren mit schwarzen, schweren Stahlriegeln, eingebauten Toiletten, schmalen Pritschen und kleinen Spiegeln über den Waschbecken an der dunkel gestrichenen Wand, all das ist heute noch sichtbar. In dem Bau fanden zudem die Kripo, eine Feuerwehr, der Stasi-Sportverein Dynamo und eine Abteilung der Stasi  Unterkunft. Die Zellen mussten sich DDR-Oppositionelle mit Mördern,  Bankräubern und Vergewaltigern teilen. Dazu kamen politisch auffällige Jugendliche, "Asoziale" und "Arbeitsscheue" - also eigentlich Leute, die weder politisch "gefährlich" noch straffällig im rechtsstaatlichen Sinne waren. Das Perfide des SED-Unrechtsstaates war es, Menschen mit "falscher Gesinnung" oder einem "nicht sozialistischen Lebensentwurf" mit echten Kriminellen zusammenzusperren. So sollte ihnen demonstriert werden, dass sie in den Augen der SED-Schergen "echte" Kriminelle sind.

Beim Blick in diese Zellen wird der Zorn der Opfer von einst verständlich, wenn sie die Lobbyisten der damaligen Täter sehen, die heute in den Parlamenten sitzen und die DDR gegen das Urteil verteidigen, ein Unrechtsstaat gewesen zu sein.

In der Keibelstraße wurde Geschichte geschrieben, ja mitunter sogar mitentschieden. Beim Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, dem Mauerbau 1961 und schließlich dem Mauerfall - immer spielte auch der Polizeibau eine Rolle. Die revoltierenden Arbeiter versuchten am 17. Juni den Kerker zu stürmen. Der damalige Polizeipräsident soll angeblich aus Furcht Zivilkleidung angelegt haben. Der Sturm auf das Gebäude misslang jedoch. Am 13. August 1961 bezog Erich Honecker in der Keibelstraße Quartier und leitete mit seinem Einsatzstab von hier aus den Bau der Mauer. 1966 wurde Florian Havemann, der Sohn des oppositionellen Kommunisten Robert Havemann, hier eingeliefert. Er hatte sich beim "Geburtstag der Republik" 1966 mit Freunden in Zylinder und Frack unter den Festumzug gemischt. Die humorlosen und misstrauischen Stasi-Schergen sahen darin einen Affront. Havemann sei sinnbildlich ausstaffiert gewesen wie bei einer Beerdigung. Die folgte tatsächlich erst 23 Jahre später. Florian Havemann berichtet: "Wir verbrachten die Nacht in den Fluren des Präsidiums, frei stehend, manche 24 Stunden lang. Hinter uns auf und ab gehend Vopos. Neben mir wurde einer zusammengeschlagen, der nicht mehr stehen konnte."

1968 hatte der Rock-Musiker Toni Krahl gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakei protestiert und machte Bekanntschaft mit den kargen Zellen. Nach den Jugendkrawallen im Herbst 1977 füllte sich der Knast erneut mit "Politischen". Auch bei Ausbruch der Revolution im Oktober 1989 wurden viele Demonstranten hier eingesperrt. Karin Gueffroy, die Mutter des im Frühjahr 1989 erschossenen DDR-Flüchtlings Chris Gueffroy, wurde "zur Klärung eines Sachverhalts" dort verhört und erfuhr hier erst offiziell vom Tod ihres Sohnes. Bald danach beobachteten Bürgerrechtler Volkspolizisten dabei, wie sie Akten verbrannten. 

Wenig später sah die Keibelstraße ganz neue Insassen. Einer der letzten war DDR-Verteidigungsminister Heinz Kessler. Er beschwerte sich bitter über den Diensteifer des Personals. Sie wollten "gegenüber der neuen Obrigkeit besonders diensteifrig erscheinen", maulte der ehemals bevorzugte Würdenträger des Regimes.

Danach wurde es leer. Gelegentlich kamen Filmemacher vorbei. Teile von "Männerpension" mit Til Schweiger, "Good Bye Lenin" und einer RTL-Serie entstanden hier. Kurze Zeit diente das Gefängnis auch als Abschiebegewahrsam für abgelehnte Asylbewerber. Zur Fußball-WM 2006 hatte man ins Auge gefasst, die Zellen für gewalttätige Hooligans zu nutzen - man tat es aber nicht. Seit dem Frühjahr 2010 ist der Gebäudekomplex nun Sitz der Berliner Bildungsverwaltung.

Nun sollen einige Schautafeln aufgehängt werden, die an die Vergangenheit des Gebäudes erinnern. Ein "Lernort" soll aus dem Gefängnis gemacht werden. Um den Ort zu einen vollwertigen Museum auszubauen, fehlt jedoch das Geld, heißt es - oder fehlt der politische Wille? Schulkassen sollen später hindurchgeführt werden. Die Robert-Havemann-Gesellschaft wird den Lernort betreuen und ausgestalten. Bis zum Spätsommer 2011 soll ein Konzept stehen. Von der Bundesstiftung für Aufarbeitung kommen zunächst 42000 Euro, vom Berliner Senat, in dem die SED-Erben mitregieren, ganze 30000. Einige Berichte von früheren Häftlingen liegen bereits vor. Doch noch werden weitere Zeitzeugen gesucht. Betroffene können sich bei Tom Sello, Robert-Havemann-Gesellschaft, Telefon (030) 44710811, melden. Sello ist Projektleiter "Friedliche Revolution" bei der Havemann-Gesellschaft.     Hans Lody

Foto: Wo jahrzehntelang Opfer des SED-Regime neben Schwerverbrechern eingesperrt wurden, saß zum Schluss Ex-DDR-Verteidigungsminister Heinz  Kessler ein: Das berüchtigte Gefängnis an der Keibelstraße


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