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01.01.11 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-10 vom 01. Januar 2011

Kalt erwischt / Warum wir nicht mehr "Lokomotive" sein wollen, wieso "Vorreiter" auch keinen Spaß macht, und wie der Diskurs im Kreis funktioniert
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Ratlos lassen wir das Jahr 2010 hinter uns. Zwar leuchten uns Deutschen aus den Glaskugeln der Wirtschaftspropheten herrliche Zeiten ins Gesicht. Fünf, ja, zehn Jahre des Aufschwungs stünden uns bevor, durch das Gewirr der Vorhersagen funkelt gar hell der Stern der Vollbeschäftigung.

Wir, denen solch Glück verheißen wird, trauen uns aber nicht, der Botschaft zu glauben. Woher rührt unser zittriger Unglaube? Euro-Krise? Ach, an die haben wir uns gewöhnt. Fast. Dass wir den Verheißungen mit so viel Skepsis begegnen, hat mehr mit den Vokabeln zu tun, die die Propheten benutzen, um unser Glück in Bilder zu fassen. Deutschland, eben noch kranker Mann Europas, werde wieder zur "Konjunktur-Lokomotive der EU", jauchzen sie.

Lokomotive? Das Wort hat mehr als nur seinen Glanz verloren. Es ist zum Menetekel für falsche Versprechungen geworden, seit die blauen Anzeigetafeln in den Bahnhöfen nicht mehr die Abfahrtzeit, sondern das Blaue vom Himmel verkünden. In den Medien melden sich Mitarbeiter der Deutschen Bahn, die namentlich nicht genannt werden wollen, und erzählen aus dem Nähkästchen. "Ein Wunder, dass überhaupt noch was fährt", fasst die "Welt am Sonntag" den Erfahrungsbericht eines entnervten Zugchefs zusammen. Er entwirft das Bild eines Chaosbetriebes, der durch falsches Management zielgenau in den Graben gesteuert wurde.

Was ist dort bloß passiert? Was lief schief? Das kam so: Bevor die Fahrpläne der Deutschen Bahn über den Haufen flogen, war schon ein weitaus wichtigerer Zeitplan unter die Räder geraten, und zwar unter die der Weltfinanzkrise. Jahrelang hatte Bahn-Chef Hartmut Mehdorn den Betrieb schlankgemacht bis aufs Skelett, hatte unspektakuläre Reparaturinvestitionen aufgeschoben, die Mannschaft und die Flotte aufs Mindestmaß geschrumpft, um seinen Laden für die Börse zu liften. Davon hingerissen sollten die Aktienkäufer herbeiströmen und die Bahn AG mit Milliarden mästen. Hinterher wäre es ihnen zwar ähnlich gegangen wie den geplünderten Käufern von Telekom-Aktien. Doch zu dem Zeitpunkt wäre es für sie bereits zu spät gewesen: Herr Mehdorn hätte nur müde grinsend auf das "natürliche Investorenrisiko" hingewiesen und zufrieden seinen prallen Geldsack gestreichelt.

An sich ein genialer Plan. und er wäre auch fast aufgegangen. Doch als der Tag des großen Beutezugs endlich herannahte, da brach an der Börse die Hölle los. Kein Mensch wollte mehr Aktien haben. Es war zum Haareraufen. Also musste der Börsengang erst mal vertagt werden.

Leicht gesagt: Da man seit Jahren auf Verschleiß gefahren war, rückte der Moment des Zusammenbruchs immer näher. Die Zeit für den Coup wurde knapp. Damit nicht genug: Laue Sommer und milde Winter hätten für die Zeit bis zum nächsten Versuch den wahren Zustand der ausgehungerten Bahn einigermaßen zugedeckt. Doch nun schlug die Natur zu: Die deutsche Sommerhitze 2010 erwischte den schwindsüchtigen Transportbetrieb ebenso kalt wie die Kälte des vergangenen und des laufenden Winters. Die Schneestürme zu Weihnachten rissen den faulen Zauber der Schienen-Potemkins wohl endgültig in Stücke.

Nein, von Lokomotiven sind wir vorerst geheilt, sei es als schickes Bild auf einer Aktie oder bildhaftes Wort für den Anführer eines Aufschwungs. Lasst euch was anderes einfallen!

Umweltminister Röttgen tut uns den Gefallen und spricht nurmehr vom "Vorreiter Deutschland". Allerdings nicht bei der Konjunktur, sondern beim "Klimaschutz". Da das Wetter vom Kohlendioxid gemacht wird und alle Wissenschaftler erforscht haben, dass weniger Wetter mehr Lebensqualität bedeutet, soll das Kohlendioxid aus der Luft, durch die Deutschland voranreiten soll.

Voranreiten! Das hört sich an wie kühner Feldherr, dem die anderen beim Klang der Trompeten ergeben und voller Ehrfurcht folgen. Na ja, so war das mal. Leider sind die heroischen Zeiten vorbei. Während Deutschland und hinter ihm Europa in die Wetterschlacht traben, begleiten uns aus dem Rest der Welt weniger helle Trompeten als hämische Karnevalströten.

Ab 2013 werden die sogar noch schriller quäken: Dann startet die dritte Stufe des europäischen "Emissionshandels". Der läuft simpel beschrieben so: Wer seinen Kohlendioxid-Ausstoß vermindert, kann seine damit eingesparte Emission wie ein Wertpapier weiterverkaufen, an Firmen, die mehr ausstoßen, als die dortigen Obergrenzen erlauben. Ein Milliardengeschäft. In China und anderswo lassen sie alte Anlagen, die man sonst längst verschrottet hätte, extra weiterlaufen. Erst wenn die "dritte Stufe" da ist, will man sie abschalten, um die eingesparte Emission an einen deutschen Betrieb zu verkaufen, der unter den strengen EU-Auflagen ächzt. Selbstredend gelten die strengen Auflagen nur in der EU, während am "Emissionshandel" die ganze Welt verdienen soll, die gar nicht daran denkt, mehr als schwammige Zusagen in die Waagschale zu werfen.

Immerhin gilt innerhalb des Brüsseler Machtbereichs das gleiche Verfahren für alle Wettbewerber: Private Prüfagenturen kontrollieren die Betriebe auf Einhaltung der EU-Auflagen, die Agenturen werden ihrerseits von nationalen Behörden überwacht. Wir sind absolut sicher, dass in allen EU-Staaten die Regeln ebenso strikt angewendet werden wie bei uns. Alles andere wäre ja so unwahrscheinlich wie eine Hungersnot in Bayern, nicht wahr, Herr Juncker?

Euroskeptiker mosern, dass Brüssel die europäische Wirtschaft mit starren Regelungen gängelt. Das ist ungerecht, die EU kann durchaus flexibel reagieren, wie dieses Beispiel zeigt: Vor Jahren hat die EU Quecksilber-Thermometer verboten, weil es wegen des Quecksilbers gesundheitsgefährdend sei, die Thermometer durchzubeißen und runterschlucken. Nun war die Frage: Wohin mit dem Quecksilber? Kein Problem für unsere blitzschnellen Eurokraten: Sie verboten die Glühbirne, um sie durch die - quecksilberhaltige - "Energiesparleuchte" zu ersetzen. Dieser Tage monierten EU-Politiker, dass nunmehr auch der Verzehr von Leuchtmitteln gesundheitsmindernd sei, weshalb die Sparleuchten verboten werden müssten. Na? Wer bitteschön kann bei solch schwunghaftem Hin und Her von "Erstarrung" faseln!

Wenn es unserer Wirtschaft nicht so gut geht, wie es ihr gehen könnte, dann liegt das am Fachkräftemangel. Und wer hat daran Schuld? Thilo Sarrazin. Ja, genau der. Denn Fachkräfte gibt es nur  im Ausland, und Sarrazin hat dafür gesorgt, dass Deutschland dort als "ausländerfeindliches Land" wahrgenommen werde, sagen seine Gegner.

Der verteidigt sich, dass sein Buch gar nicht ausländerfeindlich sei. Was für ein hilfloses Geschwafel. Klar, ist es auch nicht. Außerdem ist der Band vermutlich noch nicht einmal in irgendeine Fremdsprachen übersetzt worden, weshalb es draußen so gut wie niemand gelesen haben kann. Aber darum geht es doch gar nicht. Es ist der "Diskurs", den das Buch "entfacht" hat.

Der Diskurs verlief, wie so häufig, kreisförmig. Erst schrieb Sarrazin sein Buch. Sogleich erklärten ihn deutsche Politiker und Medienmacher für ausländerfeindlich. Über die Empörung (kaum über das Buch) berichteten die ausländischen Medien. Die Berichte wiederum zitierten die zuvor vom Ausland zitierten deutschen Medienmacher zurück in unsere Presselandschaft und äußerten sich nunmehr "besorgt" von dem Deutschlandbild, das Sarrazin (in Wahrheit: ihre Urteile über ihn) im Ausland erzeugt habe. Dort kommentierten die ausländischen Kollegen dann die deutsche "Sorge" über die "Sorge" des Auslands, die zeige, dass man außerhalb Deutschlands zu Recht "besorgt" sei. So konnte man etliche Runden drehen. Nur mit Sarrazin und seinem Buch hatte das rein gar nichts zu tun.


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