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08.01.11 / Abkehr von Hippokrates

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-11 vom 08. Januar 2011

Abkehr von Hippokrates
von Klaus J. Groth

Mit dem Eid des Hippokrates wäre nicht zu vereinbaren, was die deutsche Ärzteschaft voraussichtlich beim Bundesärztetag 2011 beschließen wird – die Beinahe-Zulassung der Beihilfe zum Selbstmord. Im Eid des Hippokrates heißt es so eindeutig wie einfach: „… auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten.“

Dieser Widerspruch zwischen Eid und Berufsrecht muss jedoch keinen Mediziner in Deutschland in Gewissenskonflikte stürzen, denn dieser Eid grundlegender ärztlicher Ethik, wird nicht mehr geschworen. Das wäre auch kaum möglich, denn die Abkehr von der darin formulierten Ethik, sie dauert schon länger an. Denn auch dies wurde einst mit diesem Eid geschworen: „… auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben.“ Kaum jemand scheint sich noch daran zu erinnern.

Beide „Eckwerte“ dieses Eides verdeutlichen aber auch etwas anderes als die Abkehr von überlieferten Werten. Sie zeigen, wie lange um Antworten auf grundlegende Fragen gerungen wurde und wird. Nicht zu allen Zeiten wurden die richtigen Antworten gegeben, doch auch falsche Antworten können von Verantwortungsbewusstsein geprägt sein. Vieles ist nicht mehr so wie zu jener Zeit um 400 vor Christus, als der griechische Arzt Hippokrates in Kós wirkte, viele Veränderungen verlangen nach neuen Antworten. Das biblische Alter, das damals nur Wenige erreichten, es ist zur Regel geworden. Und zur erschreckenden Regel gehören damit einhergehend vielfach auch der körperliche und der geistige Abbau, der Verlust der Persönlichkeit und der Selbstbestimmung im Alter. Wer wollte sagen, es sei Teil der Menschenwürde, zu verblöden? Tägliches Leid zu durchstehen? Den Schlaf erst nach langer Dämmerung zu finden?

Niemand weiß besser um die Hilflosigkeit und Ängste des Alters als jene Ärzte, die als Praktische- oder Hausärzte diese vielfältige Not über Jahre begleiten, die helfen möchten, und sei es zu einem schmerzfreien Ende ohne Angst. 30 Prozent der Ärzte seien bereit, bei einer Selbsttötung zu assistieren, ergab eine Umfrage des „Spiegel“. So viele? Die Funktionäre der Bundesärztekammer mochten es nicht glauben und gaben eine eigene Umfrage in Auftrag. Das Ergebnis war ähnlich.

Für einen Arzt, der zwar nicht auf den Eid des Hippokrates verpflichtet wurde, der aber sein Selbstverständnis unveränderlich daraus ableitet, muss das eine verwirrende Aussage sein. Dem entspricht der auf dem Bundesärztetag zu erwartende Beschluss: Der Beihilfe zum Suizid wird die Androhung einer Strafe genommen, aber ethisch bleibt sie verwerflich. Mit dieser Aussage bleibt jeder Arzt mit seinem Gewissen allein.

Je mehr Geheimnisse des Lebens entschlüsselt werden – darin liegt eine fatale Logik – desto selbstverständlicher scheint es, das Leben zu steuern, zu gestalten. Von der Zeugung bis – konsequenterweise – zum Ende. Das geht immer rascher und scheinbar auch selbstverständlicher.

Foto: Umstrittene Beihilfe zum Suizid: Zwar will die Bundesärztekammer sie weiterhin als ethisch verwerflich einstufen, doch die Strafandrohung soll fallen. Damit muss diese Frage künftig jeder Mediziner mit seinem Gewissen klären.


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