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08.01.11 / Dem Traum vom Fliegen näher / Eine Ausstellung und ein Buch zum Thema Schaukel: Ein Stück Kulturgeschichte des Alltags

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-11 vom 08. Januar 2011

Dem Traum vom Fliegen näher
Eine Ausstellung und ein Buch zum Thema Schaukel: Ein Stück Kulturgeschichte des Alltags

Einem besonderen Kapitel der Kulturgeschichte widmet sich das Altonaer Museum in Hamburg. In einer einmaligen Schau ist erstmals das Thema Schaukeln in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

„Er gaukelt und schaukelt … Seht! Er schaukelt gar zu wild, bis der Stuhl nach hinten fällt.“ Zu den wohl quirligsten Kindern in der deutschen Literatur gehört Heinrich Hoffmanns Zappel-Philipp. Der Junge hat sich einen Stuhl als Schaukel auserwählt und das Unheil nimmt seinen Lauf. Die Schaukel ist bei Kindern sehr beliebt, kein Wunder, denn schon als Säugling wurden sie entweder in den Armen der Mutter gewiegt oder wurden in einer Wiege in den Schlaf gebracht.

Die Ausstellung „Verschaukelt! Eine Kulturgeschichte“ im Altonaer Museum zeigt die bunte Vielfalt der Schaukel- und Wiegegeräte, die kleine, aber auch größere Menschen erfreuen. Grundlage dieser Ausstellung ist die Schenkung der Sammlung der Lüneburger Lehrerin Ute Protte im Jahr 2007. Dadurch erhielt das Altonaer Museum insgesamt über 3000 Objekte, darunter Grafiken, Postkarten und Spielzeug, zum Thema „Schaukeln“. Mit der Publikation unter dem Titel „Komm auf die Schaukel – Eine Kulturgeschichte“ von Verena Fink liegt jetzt eine wissenschaftliche Dokumentation dieser Sammlung vor, die erstmals die kulturelle Bedeutung und den vielseitigen Einsatz der Schaukel anhand verschiedener Themenbereiche von der Antike bis in die Gegenwart präsentiert. In der Kabinettausstellung kann der Besucher nun anhand repräsentativer Objekte aus der Sammlung die kulturhistorische Entwicklung und die weit verbreitete Nutzung von Schaukeln und schaukelähnlichen Geräten verfolgen.

Neben zerbrechlich wirkenden Arbeiten aus Porzellan über Blechspielzeug und Schaukelpferde bis hin zu der legendären Wellenbadschaukel findet der Betrachter vieles, was ihn nicht zuletzt auch an die eigene Jugend erinnert. Fotografien und Drucke zeigen, dass Schaukeln auch in anderen Kulturkreisen beliebt waren. Die erste Darstellung einer Schaukel ist vermutlich ein Ton-Votiv aus der minoischen Kultur (1430–1300 v. Chr.): Eine Priesterin schaukelt zwischen zwei Pfosten, zu sehen im Archäologischen Museum auf Kreta. Schon die antiken Sportwettkämpfer bedienten sich der Schaukel. Auch in Indien hatte sie eine große Bedeutung, erzielte man doch in dem feuchtheißen Klima durch die Luftbewegung eine angenehme Kühle. Anhänger des Hinduismus lösen sich so auch von der Erdenschwere. Nach ihren Vorstellungen symbolisiert schon eine leere Schaukel die Anwesenheit von Göttern. Und so nimmt es nicht Wunder, dass auf vielen grafischen Darstellungen schaukelnde Männer und Frauen zu sehen sind.

In der europäischen Kunst findet man Schaukeln in Gemälden von Lucas Cranach d. Ä. („Die Melancholie“, 1532) und von Pieter Breughel („Kinderspiele“, 1560). Vor allem im Zeitalter des Rokoko war die Schaukel ein beliebtes Objekt. Sie symbolisierte Freude, Müßiggang und Liebelei. Wo konnte man besser mit der Auserwählten anbändeln als auf einer Schaukel? Nachdem Konstrukteure und Händler den Wert der Schaukel entdeckt hatten, wurde sie auch kommerziell genutzt. Auf Jahrmärkten waren das Kettenkarussell und die Schiffschaukel beliebte Attraktionen. Zunehmend aber wurde die Schaukel nicht nur als Freizeitvergnügen, sondern auch als Sportgerät genutzt.

Das wohl eigentümlichste Exponat der Ausstellung war einst der Verkaufsschlager zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert: die Wellenbadschaukel. Nachdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Interesse an der Wasserkur wieder aufgelebt war, stürmten die Menschen die Badehäuser. Eine eigene Badewanne war ohnehin großer Luxus in diesen Zeiten. So kamen 1903 auf 100000 Einwohner im Schnitt 37 Badewannen. Um das Bedürfnis der Menschen zu befriedigen, schossen Erfindungen wie Pilze aus dem Boden. 1879 ließ C. Joos eine Metallbadewanne patentieren, die auf abgerundeten Kufen stand. Der Berliner Carl Dittmann meldete zehn Jahre später ein Patent für seine Wellenbad-Schaukel an. Bis 1894 verkaufte er über 9000 seiner Wannen, dann veräußerte er das Patent an die Berliner Firma „Moosdorf & Hochhäusler“. Die stieg in großem Stil in die Werbung ein und startete eine der ersten großen Reklamekampagnen in Deutschland. Neu war, dass nicht nur das Produkt, sondern auch Menschen bei der Nutzung mit abgebildet waren. Der „Whirlpool mit Muskelkraft“ begeisterte dermaßen, dass 1912 über 100000 Wannen verkauft wurden.

Selbst in die Welt der Bühne und des Films hat die Schaukel Einzug gehalten. 1932 schrieb Hans Herbert das Lied „Komm auf die Schaukel, Luise“, das dem Begleitbuch den Titel gab, für das Bühnenstück „Liliom“ von Franz Molnar. In der Interpretation von Hans Albers wurde es durch den Film „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ 1954 zum Schlager.      Silke Osman

Verena Fink. „Komm auf die Schaukel – Eine Kulturgeschichte“, Husum Verlag 2010, 128 Seiten, schwarzweiße und farbige Abbildungen, gebunden, 17,95 Euro

Die Ausstellung „Verschaukelt“ im Altonaer Museum ist bis 10. April täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt 6 / 4 Euro.

Foto: Kindervergnügen oder Gesundheitsmaßnahme: Schaukel oder Wellenbadschaukel zeigen die vielfältigen Möglichkeiten, die Schaukelbewegung zu nutzen.


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