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15.01.11 / Gesangsstunde im Mini-Käfig / In kalifornischen Gefängnissen hat eine neue Form der »Therapie« Einzug gehalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Gesangsstunde im Mini-Käfig
In kalifornischen Gefängnissen hat eine neue Form der »Therapie« Einzug gehalten

Ein bizarres Bild veröffentlichte kürzlich die „L.A. Times“ auf ihrer ersten Seite: Zwei Käfige, so klein wie Telefonzellen, mit je einem teilnahmslos vor sich hinstarrenden Häftling. Davor, in sicherer Entfernung vor Pinkel- und Spuck-Attacken und mit kugelsicherer Weste unter dem Sport-Jackett, ein Gitarre spielender Psychiater mit Lockenkopf und Brille.

Das Foto aus einem Gefängnis in Vacaville demonstriert eine in kalifornischen Hochsicherheitsgefängnissen inzwischen übliche Methode, mit der gefährliche wie geistig gestörte Gefangene in therapeutischen Sitzungen behandelt werden. Der Psychiater namens Daniel Tennenbaum intoniert, wie im Artikel zu besagtem Foto beschrieben, das Lied „Sitting on the Dock of the Bay“ und versucht, die Gefangenen zu fröhlichem Mit-Singen zu bewegen, um damit ihr Vertrauen zu erlangen. Tennenbaum liebt und verteidigt seinen Job: „Wir reden. Wir schreiben Songs. Es ist wirklich hilfreich.“ Als Vorteil dieser Art des Arrestes wird von offizieller Seite auch genannt, dass die Gefangenen im Käfig ohne Hand- und Fuß-Schellen sitzen könnten. Doch nicht jeder ist begeistert: „Hierher zu kommen und zu erleben, wie diese Art von Therapie vonstatten geht, das war ungeheuer hart“, gesteht die Therapeutin Angela Gross. Aufgrund geteilter Ansichten einiger Fachleute ist in letzter Zeit eine heftige Diskussion um die sogenannten „Therapeutic Moduls“, wie die Käfige offiziell genannt werden, entflammt.

„Es ist bizarr. Es hat eine Hannibal-Lecter-Qualität“, vergleicht Psychiatrie-Professor H. Steven Moffic von der Universität von Wisconsin, der diverse Aufsätze zur Behandlung von Gefangenen geschrieben hat, die Methode mit dem Anthony-Hopkins-Film „Das Schweigen der Lämmer“. „Ich habe keine Ahnung, was die Therapeuten davon erhoffen.“ Dem stimmt der Berkeley-Psychiater Terry Kupers zu: „Diese Käfige sind verabscheuungswürdig. Sie suggerieren den Betroffenen, dass sie keine Menschen sondern Tiere sind.“

Kupers fungierte vor zehn Jahren als Zeuge bei einem Prozess, in dem mit Erfolg geurteilt wurde, dass es menschenunwürdig sei, geistig gestörte Häftlinge ohne Behandlung in ihren Zellen zu lassen. Seither hat das kalifornische Gefängnis-System über eine Milliarde Dollar in entsprechende Behandlungen investiert. Allein im Jahre 2009 wurden 36000 Häftlinge für 358 Millionen Dollar psychiatrisch behandelt. Davon 3500 in jenen, damals errichteten Käfigen. Nicht alle sicherungsverwahrten und als psychologisch-gefährdet eingestuften Gefangenen leiden jedoch unter Schizophrenie oder manisch-depressiven Erscheinungen. Manchmal reicht es, wenn sie sich in normalen Gefängnissen aufsässig zeigten, Banden gründeten, heimlich geschmuggelte Drogen empfingen oder das Gefängnispersonal beleidigten.

Terri McDonald, stellvertretender Sekretär der kalifornischen Haftanstalten, gibt zu, dass die Käfig-Methode nicht ideal sei, beruft sich aber auf die Raumnot. Zum Problem der Raumnot hört der Oberste US-Gerichtshof gerade Argumente für eine Entscheidung über die vorzeitige Entlassung von Tausenden von Häftlingen mit minder schweren Straftaten an. Dies soll Luft in den überfüllten Anstalten Kaliforniens schaffen und ist noch ein Gesetzentwurf von Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Auch wird überlegt, einem New Yorker Modell zu folgen. Dort werden die Häftlinge für eine Gruppentherapie an Tische gesetzt, an denen sie schreiben und Notizen machen können, wobei der Tisch die gefesselten Füße verbirgt. Liselotte Millauer


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