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15.01.11 / Symbolfigur der gewaltsamen Dekolonisierung / Patrice Lumumbas Tod vor 50 Jahren stellt eines der dunkelsten Kapitel der afrikanisch-europäischen Beziehungen dar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Symbolfigur der gewaltsamen Dekolonisierung
Patrice Lumumbas Tod vor 50 Jahren stellt eines der dunkelsten Kapitel der afrikanisch-europäischen Beziehungen dar

Der am 2. Juli 1925 in Katako-Kombe in der kongolesischen Provinz Kasai als Tasumbu Tawosa geborene Patrice Emery Lumumba verdankt seine große Bekanntheit eigentlich nur seinem letzten halben Lebensjahr. Er wurde verhaltensbedingt von der Schule verwiesen, fand später Arbeit bei der Post und musste wegen Veruntreuung eine Gefängnisstrafe absitzen. Vielleicht wäre sein Leben weiter unspektakulär verlaufen, wenn Belgien 1960 nicht seine Kolonie „Belgisch Kongo“ hätte aufgeben müssen. Die Lebensbedingungen der dortigen Bewohner waren katastrophal. Wer nicht auf die Kautschukplantagen wollte, dem hackte eine Privatarmee, die sich „Force Publique“ nannte, kurzerhand die Gliedmaßen ab. Zwischen fünf und 15 Millionen Einwohner kamen zwischen 1877 und 1908 ums Leben. Joseph Conrads Novelle „Herz der Finsternis“ machte diese Zustände einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann weltweit die Entkolonialisierung. Sie betraf auch Belgien. 1958 gründete Lumumba die „Mouvement National Congolais“ (Nationale Kongolesische Bewegung), die sich als einzige Partei in allen Landesteilen etablieren konnte. Bei den ersten Wahlen am 25. Mai 1960 wurde Lumumbas Partei stärkste Kraft. Am 30. Juni 1960 erlangte der Kongo seine staatliche Unabhängigkeit. Lumumba wurde erster Ministerpräsident, Joseph Kasavubu Staatspräsident.

Aber Belgien wollte sich mit dem Machtverlust nicht abfinden. Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Cobalt, Zinn, Diamanten, Mangan Zink, Baumwolle, Edelhölzer, Kautschuk und Palmöl waren „überzeugende“ Argumente. Die Streitkräfte des Kongo, die „Force Publique“ standen weiterhin unter dem Befehl belgischer Offiziere. Da meuterten die Soldaten gegen ihre Offiziere. Panik unter den weißen ehemaligen Kolonialherren brach aus. Viele ergriffen die Flucht. Chaos und Anarchie herrschten im Kongo. Einer der wenigen weißen Journalisten vor Ort war Peter Scholl-Latour, dessen Stern damals aufging, weil er zeitweilig die einzige Informationsquelle in Belgisch-Kongo war. Plötzlich wurden bisherige schwarze Feldwebel Offiziere. Manche wie Joseph-Désiré Mobutu stiegen in höchste Ränge auf. Die Uno fasste den Beschluss, Truppen in den Kongo zu entsenden. Schweden, Ghana, Guinea und Marokko schickten Soldaten.

In Belgien nahm man Lumumba übel, dass er bei der Unabhängigkeitsfeier König Baudouin/ Boudewijn/Balduin ganz undiplomatisch seine Ansichten über die belgische Kolonialherrschaft erklärt hatte: „Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren.“ Darüber hinaus beabsichtigte er die Verstaatlichung der belgischen Bergbau- und Plantagen-Gesellschaften.

In der Südprovinz Katanga fand sich mit Moise Tshombe ein Mann, der gewillt war, mit den Belgiern gemeinsame Sache zu machen, und die Abspaltung vom restlichen Kongo betrieb. Schon am 29. Mai 1960 – also noch vor der staatlichen Unabhängigkeit des Kongo – hatte Tshombe die Loslösung von der Zentralregierung erklärt, wobei der eigentliche Machthaber in der Katanga-Provinz der belgische Minenkonzern „Union Minière du Haut Katanga“ war. Die Forderung nach Abzug der belgischen Truppen aus der Katanga-Provinz beantwortete Tshombe damit, dass die belgischen Offiziere nun seine Militärberater wurden.

Zunächst suchte Lumumba gegen die Beschneidung der staatlichen Souveränität die Unterstützung der USA. Deren Präsident Dwight D. Eisenhower war nicht bereit, der Zentralregierung gegen die Separatisten in Katanga zu helfen. Auch die Uno und deren Generalsekretär Dag Hammarskjöld verweigerten wirksame Hilfe. Lumumba war keineswegs Kommunist, Sozialist oder Parteigänger des Ostblocks. Aber nachdem er im Westen vergeblich um Unterstützung gebeten hatte, war es nicht überraschend, dass er sich dem Osten zuwandt. In der Erwartung weiterer Anarchie ernannte Lumumba nun seinen Stammesbruder Victor Lundula zum neuen Armeechef. Bald erhob sich jene Provinz, bald diese. Lumunba und Staatspräsident Kasavubu zerstritten sich. Beide setzten sich gegenseitig ab und eine Autorität war nicht mehr zu erkennen. Am 12. September 1960 entließ Staatspräsident Kasavubu Ministerpräsident Lumumba erneut, nachdem das kongolesische Parlament seine erste Entlassung vom 5. September am 6. September wieder rückgängig gemacht hatte. Oberst Mobuto wurde als neuer Armeechef beauftragt, Lumumba zu verhaften. Am 17. September putschte Mobuto mit der Armee. Lumumba konnte flüchten, wurde aber später unter Hausarrest gestellt. Am 27. November gelang Lumumba die Flucht aus Léopoldville. Einige Tage später konnten Mubutos Truppen ihn festsetzen. Nach einer Militärmeuterei an Lumumbas Gefängnisort Thysville lieferte man ihn an seinen Erzfeind Tshombe aus. Vermutlich am 17. Januar 1961 wurde Lumumba zusammen mit zwei Gefolgsleuten erschossen, nachdem man ihn zuvor bestialisch gefoltert hatte. Es gibt viele Versionen über sein Ende. Peter Scholl-Latour berichtet in seinem Buch: „Mord am großen Fluss“, ein belgischer Capitain habe ihm schließlich den Gnadenschuss gegeben. Die Überreste der Leiche wurden beseitigt, um keine „Reliquien“ übrig zu lassen.

Später festigte Oberst Mobuto seine Macht im Lande. Die Sezession in Katanga wurde beendet. Belgisch-Kongo wurde in Zaire umbenannt. Der politische Einfluss der Minengesellschaften blieb bestehen bis zum Ende des „Kalten Krieges“. Heute haben chinesische Gesellschaften den Platz der Belgier eingenommen. Die Kongolesen profitieren bis heute kaum vom Reichtum ihres Landes. Lars Heidemann


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