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15.01.11 / Die Polen und ihr Nationalismus / Zwei Autoren analysieren Politik und Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Die Polen und ihr Nationalismus
Zwei Autoren analysieren Politik und Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen

Dem polnischen Nationalismus in den Jahren nach 1919 nachzuspüren, ist für Historiker kein ganz leichtes Unternehmen. Schon der Begriff deutet eine Einheitlichkeit an, die den vielen aufgeregten Gruppen fehlte, die damals Einfluss auf die polnische Politik zu nehmen versuchten. Was Polen nach der Wiedererrichtung des Staates genau sein sollte, wie es sich selbst verstehen sollte und wohin geographisch gesehen die politischen Ambitionen zu richten waren, darüber wurde unter polnischen Nationalisten heftig gestritten. Zwei interessante Veröffentlichungen beleuchten diese Szene auch deshalb auf unterschiedliche Weise.

Stephanie Zloch hat eine Dissertation zum Thema geschrieben, die den schillernden Stier des polnischen Nationalismus gewissermaßen bei den Hörnern packt. Um den Nationalismus zu beschreiben, versucht sie ein Gesamtbild der damaligen Auseinandersetzungen zu zeichnen, bleibt aber innerhalb der Grenzen der polnischen Republik. Das ist insofern nicht selbstverständlich, als damit die teilweise weit darüber hinausgreifenden Ambitionen nationalistischer Gruppen und des polnischen Establishments ausgeklammert werden, was eigentlich Polen sei. Dennoch vergessen Historiker allzu häufig, dass die Vergangenheit irgendwann einmal in der Zukunft lag. Zloch beschreibt die Existenz der längst untergegangenen polnischen Republik in erfrischender Weise aus dem Blickwinkel der historischen Offenheit, als den Zeitgenossen die Zweite Republik noch als Modell mit Optionen erscheinen konnte. Dazu mussten nationale wie regionale Feiertage geschaffen werden, Flaggen, Lieder und Symbole. Es wurde der „Legionärstag“ kreiert, der 6. August, an dem im Jahr 1914 die polnische Legion Josef Pilsudskis die russischen Grenzen überschritten hatte, und der „Tag des polnischen Soldaten“ am 15. August, der Wende im Krieg gegen die UdSSR im Jahr 1920. Beides gab Anlass zum Optimismus für den nächsten Krieg und in diesem Sinn wurden beide Tage auch im Jahr 1939 begangen.

Um diesen Dingen nachzuspüren, hat Zloch Mengen an Archivmaterial gesichtet, darunter zeitgenössische Broschüren und Zeitungsliteratur, Akten von Ministerien und der Staatspolizei, Woi-wodschaftsämtern, Parteien und Schulen. Man erfährt dennoch beispielsweise wenig über die innerstaatlichen deutsch-polnischen Beziehungen, aber eben viel über den polnischen Nationalismus innerhalb der Vorkriegsgesellschaft und seine teilweise längst vergessenen Details.

Die Außenpolitik war nicht Zlochs Thema und da fügt es sich gut, wenn ein weiteres neues Buch genau diesen Bereich aufs Korn nimmt. Autor Tomasz Lubienski ist der Neffe des gleichnamigen Staatssekretärs im Außenministerium von Minister Josef Beck, der die polnische Außenpolitik zwischen 1932 und 1939 leitete. In „1939 – noch war Polen nicht verloren“ wägt er die damaligen Möglichkeiten der polnischen Politik ab. Auch Lubienski weiß, dass Geschichte ein offener Prozess ist, und er stellt nüchtern die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, sich mit Hitler zu einigen. Denn was verlangte Hitler schon, so der Autor. Danzig und die Straße durch den Korridor seien keine übermäßigen Forderungen gewesen. Allerdings deutet er den von Deutschland ebenfalls verlangten polnischen Beitritt zum Antikominternpakt als Offensivvertrag gegen Russland. Schließlich gibt er doch allen Recht, die einen deutsch-polnischen Ausgleich 1939 für unmöglich erklärten.

Lubienski ist aber nicht nur der Neffe eines damaligen Amtsträgers, sondern kann auch auf dessen bisher noch nie berücksichtigte Aufzeichnungen zurückgreifen, die die Familie erst 2009 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. So liefert er im weiteren einige bemerkenswerte Einsichten in die Entscheidungsfindung der damaligen polnischen Außenpolitik, die Staatssekretär Michal Lubienski damals mit deutlicher Distanz und erkennbarem Erstaunen aufgezeichnet hat. Da sind Außenminister Josef Becks denkwürdige Grundsätze, wie etwa der: „In der Politik zählt nur der, der Schwierigkeiten macht“ und seine für einen Militär unverständliche militärische Ahnungslosigkeit. Vor seinem Wechsel in die Diplomatie und Politik war Beck Oberst im Generalstab. Auch sinnierte Staatssekretär Lubienski über den Zustand einer polnischen Großmachtpolitik, die „nicht auf Konzepte wie die Abtrennung der Ukraine und des Kaukasus (sic) von Russland verzichtete und weiterhin das Ziel formulierte, sich Danzig, wenn nicht sogar Ostpreußen einzuverleiben“. Schließlich machte sich bei Lubienski offenkundig Ratlosigkeit breit, als am 4. September 1939 ein Abteilungsleiter des polnischen Außenministeriums in seinem Büro auftauchte und ihn daran erinnerte, nach dem Endsieg auf den polnischen Kolonialforderungen zu bestehen. Zwar war dies eine öfter erhobene – und heute ebenfalls praktisch vergessene – polnische Forderung, aber sie konnte 1939 schlecht an den Kriegsgegner Deutschland gestellt werden, der nun einmal über keine Kolonien verfügte.

In der Familie Lubienski hält und hielt man von diesen Absurditäten offenbar wenig. So gerät Tomasz Lubienskis Essay über die polnische Außenpolitik passagenweise zur Abrechnung mit einer prinzipien- und ahnungslosen politischen Führung, die die Nation in den Untergang geführt habe. Schließlich gelang es Beck und seinen Gefolgsleuten 1938 im Windschatten der deutschen Politik, den Litauern ihre bereits lange von Polen besetzte Hauptstadt Wilna auch völkerrechtlich abzupressen, nach der Münchener Konferenz ein schönes Stück Tschechoslowakei zu erwerben, ein paar Quadratkilometer der neugegründeten Slowakei und die ebenfalls lang geforderte gemeinsame Grenze mit Ungarn zu erreichen. Dass im Vorfeld die „Öffentlichkeit darauf unglaublich stolz und zufrieden“ reagierte, gerade auf die in alle Richtungen und letztlich auch gegen Deutschland betriebenen territorialen Forderungen, gehört mit zum Bild des polnischen Nationalismus, das beide Veröffentlichungen erfreulich erweitert haben.         Dr. Stefan Scheil

Stephanie Zloch: „Polnischer Nationalismus – Politik und Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen“, Böhlau, Wien 2010, gebunden, 631 Seiten, 64,90 Euro; Tomasz Lubienski: „1939 – Noch war Polen nicht verloren“, edition foto Tapeta, Berlin 2010, 149 Seiten, 12,80 Euro


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