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22.01.11 / »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit« / Klaus Brähmig (CDU): Vertriebene wollen »Frieden schließen mit diesem Teil deutscher Geschichte«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

»Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«
Klaus Brähmig (CDU): Vertriebene wollen »Frieden schließen mit diesem Teil deutscher Geschichte«

Klaus Brähmig, Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zieht im Interview mit der PAZ ein positives Resümee der Vertriebenenpolitik der letzten Jahre. Die Fragen stellte Konrad Badenheuer.

PAZ: Sie wurden 1957 in Sachsen geboren. Hat Ihre Familie einen Vertriebenenhintergrund?

Klaus Brähmig: Meine Familie ist in der sächsisch-böhmischen Grenzregion, aus der ich komme, Gott sei Dank nicht von Vertreibung betroffen gewesen. Aber das Thema war allgegenwärtig, auch in der ehemaligen DDR – allerdings hinter vorgehaltener Hand. Daher bin ich der Gruppe aus Interesse bereits 1990 beigetreten und engagierte mich in der letzten Legislaturperiode als ihr stellvertretender Vorsitzender.

PAZ: Die Gruppe zählt aktuell 64 Mitglieder ...

Brähmig: ... so viele wie noch nie seit ihrer Gründung 1949. Die Gruppe verstärkt ihren bisherigen Schwerpunkt der „deutschen Minderheiten“ durch eine Namensänderung zum Jahreswechsel. Der Begriff „Flüchtlinge“ wurde dabei ersetzt, weil er stark an die Übersiedler aus der DDR erinnerte, die hier nicht gemeint waren und deren Problematik zudem überwunden ist.

PAZ: Was sind die wichtigsten Ziele Ihrer Arbeitsgruppe im Jahr 2011?

Brähmig: Es gilt vor allem, das wichtigste Gedenkvorhaben der Bundesregierung – die „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ – parlamentarisch zu begleiten und weiter voranzubringen. So wird in den nächsten Monaten das Konzept der geplanten Dauerausstellung auf der Grundlage des vorgestellten Eckpunktepapiers öffentlich diskutiert, im Detail ausgearbeitet und voraussichtlich im Juni vom Stiftungsrat, dem ich angehöre, beschlossen. Parallel dazu läuft der Architektenwettbewerb, der für den museumtauglichen Umbau des historischen Deutschlandhauses notwendig ist.

PAZ: Seit 1999 bemüht sich Ihre Fraktionskollegin Erika Steinbach um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin. Viele Etappen wurden inzwischen erreicht, aber wann kann ein solches Zentrum seine Tore öffnen?

Brähmig: Der Beschluss des Bundestages 2008, in Berlin eine Dokumentationsstätte zu Flucht und Vertreibung zu errichten, war mit Verlaub kein Etappensieg, sondern ein historischer Meilenstein für die Bewältigung unserer nationalen Katastrophe am Ende des Zweiten Weltkrieges. Was das Eröffnungsdatum angeht, erinnere ich nur an den ebenfalls schwierigen Aufbau der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der damals auch nicht von der politischen Linken gewollt war: Auf Initiative von Kanzler Kohl 1986 gegründet, konnte die Dauerausstellung erst acht Jahre später eingeweiht werden. Heute gehört die Bonner Sammlung zur Deutschen Geschichte zu den renommiertesten und erfolgreichsten Museen des Landes. Wenn nun die auf 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche erweiterte Bundesvertriebenenstiftung in drei Jahren – man denke allein an die Suche nach Exponaten – eröffnen will, ist das sehr ambitioniert.

PAZ: Welche Chancen sehen Sie, für den 5. August als nationalen Gedenktag für Flucht und Vertreibung eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen?

Brähmig: Gute. Die Gruppe hat federführend zum 60. Jubiläum der Charta der deutschen Heimatvertriebenen den bisher umfangreichsten Antrag zur Thematik im Bundestag eingebracht. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die Erhebung des 5. August zum bundesweiten Gedenktag für die Opfer von Vertreibung zu prüfen. Ferner wird unser Anliegen von den Spitzen der Union, etwa durch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, voll unterstützt.

PAZ: Die Vertriebenen werden von Jahr zu Jahr weniger. Gibt es für sie noch politische Ziele jenseits von Gedenken und „Geschichtspolitik“?

Brähmig: Einerseits nimmt zwar die Zeitzeugengeneration ab, andererseits steigt laut unseren Erkenntnissen aber deren Bedürfnis, ihren Frieden mit diesem Teil deutscher Geschichte zu schließen. Da uns nicht mehr viel Zeit bliebt, ist die Versöhnung der Deutschen mit dem Kapitel Vertreibung als auch mit ihren östlichen Nachbarn eine gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges! Der erwähnte Antrag zielt in die erste Richtung, eine in diesem Jahr geplante Reise nach Warschau in die zweite.

PAZ: Laut §96 Bundesvertriebenengesetz haben „Bund und Länder …  das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein … des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten“. Ist das gelungen?

Brähmig: Im Prinzip ja, wobei noch einiges zu tun bleibt. Ich bin seit meinem Amtsantritt dabei, möglichst alle Einrichtungen zu besuchen, die nach §96 BVFG gefördert werden, um mir vor Ort ein genaues Bild der Lage machen zu können. Momentan sind sechs historisch-landeskundliche Museen etabliert, welche das Gros der ehemaligen deutschen Herkunftsgebiete der Vertriebenen inhaltlich abdecken. Schon jetzt ist klar, dass teilweise großer Modernisierungs- oder Erweiterungsbedarf besteht, damit neue Besuchergruppen angesprochen werden können. Die Gruppe wird sich dafür einsetzen, dass in München ein Sudetendeutsches Museum entsteht. Auch mit den Landsmannschaften und Kulturreferenten suche ich das Gespräch, wo der Schuh drückt.

PAZ: Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund des oben genannten Gesetzes-textes die Verwendung allein der polnischen, russischen und tschechischen Namen für fast alle Städte in den Vertreibungsgebieten auch in öffentlich-rechtlichen Sendern?

Brähmig: Ich sah während der Feiertage die NDR-Dokumentation „Weihnachten in Ostpreußen“ über die heutigen Bewohner, darin war von „Königsberg“ die Rede, nicht von „Kaliningrad“. Es ist doch sehr erfreulich, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den letzten Jahren wieder mehr der verlorenen Heimat angenommen hat. Denken Sie an die aufwendig produzierten Spielfilme „Die Gustloff“ im ZDF und „Die Flucht“, der mit über 13 Millionen Zuschauern erfolgreichste ARD-Film seit zehn Jahren.

PAZ: Im heutigen Polen und Tschechien werden immer wieder Massengräber mit Vertreibungstoten gefunden. Sollten diese Toten nur an würdige Orte umgebettet oder auch untersucht und möglichst identifiziert werden?

Brähmig: Diese Thematik beschäftigt uns intensiv seit dem spektakulären Fund an der Marienburg im Oktober 2008, wo über 2000 bei Kriegsende umgekommene Menschen durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge später in Neumark eine würdevolle Ruhestätte fanden. Trotz Untersuchungen polnischer Gerichtsmediziner konnte die Identität der Toten nicht geklärt werden, weil schlicht Kleidungsstücke oder Erkennungsmarken fehlten. Zudem haben sich keine Zeitzeugen gemeldet. Wir wollen dennoch im Sinne der deutschen Angehörigen eine wissenschaftliche Studie initiieren, um Licht in das Chaos des Januar 1945 an der Nogat und unmittelbar danach zu bringen.

PAZ: Im Jahre 2009 wurde im Zuge einer Änderung des Melderechts eine staatsrechtlich bedeutende Änderung vorgenommen: Aus bundesdeutscher Sicht sollen die Oder-Neiße-Gebiete de iure schon im Sommer 1945 zu Polen gekommen sein. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?

Brähmig: Hintergrund war die Einführung der neuen Steueridentifikationsnummer, bei der falsche Angaben in den Melderegistern über Vertriebene zu Tage traten: z.B. Geburtsort Breslau/Polen. Das haben wir umgehend reklamiert und die Daten wurden berichtigt. Nicht zuletzt hat die Union deshalb in ihrem Regierungsprogramm 2009–2013 erklärt, bei der personenstands- und melderechtlichen Erfassung der Geburtsorte von Vertriebenen die völkerrechtliche Position Deutschlands zu wahren. So hat etwa das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 1999 die Gebiete östlich von Oder und Neiße auch nach dem Protokoll der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 als Inland angesehen.


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