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22.01.11 / Gefangen in der selbstgebauten Falle / Währungskrise lässt den Ruf nach Transferunion lauter werden – Merkel akzeptiert »kleineres Übel«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

Gefangen in der selbstgebauten Falle
Währungskrise lässt den Ruf nach Transferunion lauter werden – Merkel akzeptiert »kleineres Übel«

Also doch lieber eine gemeinsame Wirtschaftsregierung anstelle einer Transferunion. Diese würde, so sie denn wie der deutsche Länderfinanzausgleich funktionieren würde, den deutschen Steuerzahler jährlich so viel Kosten, wie der Bund insgesamt pro Jahr an Steuern einnimmt.

Die Bundesregierung gerät bei ihren Versuchen, Geldwertstabilität und Haushaltsdisziplin mit dem Ziel der Rettung notleidender Euro-Staaten in Einklang zu bringen, zunehmend in die Klemme. Gerade erst hatten die viel gescholtenen Märkte dem Wackelkandidaten Portugal etwas Luft verschafft, indem sie ihm 1,25 Milliarden für neue Staatsanleihen geliehen hatten, da sorgte ausgerechnet EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso – selbst Portugiese – für neue Unsicherheit.

Mit seiner Forderung, den Rettungsschirm (offiziell: „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“, kurz EFSF) von derzeit 750 Milliarden kräftig aufzustocken, schürte der Chef der EU-Kommission die Furcht vor akuten Zahlungsschwierigkeiten in den Problemstaaten. Zu diesem Zeitpunkt trafen sich Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble gerade in Berlin mit ihren italienischen Amtskollegen Silvio Berlusconi und Giulio Tremonti. In einer Einmütigkeit, die zwischen Rom und Berlin eher selten ist, verurteilten die vier die Einlassung Barrosos als „Gequatsche“: Bislang sei nur ein Bruchteil des Schirms überhaupt in Anspruch genommen worden, da sei jedes Gerede über seine Erweiterung unverantwortlich, so sinngemäß die vier Spitzenpolitiker.

Schon fürchten Beobachter, nach Barrosos Äußerungen könnten die Märkte nunmehr die Euro-Länder so lange „vor sich her treiben“, bis der Schirm tatsächlich ausgeweitet werden müsse. Barroso habe das denkbar falsche Signal gesetzt. Dabei berief sich der Portugiese ausgerechnet auf ein Diktum von Kanzlerin Merkel, die unlängst geäußert hatte, man werde „alles“ tun, um den Euro zu retten. „Alles“ tun kann unschwer mit „alles“ zahlen übersetzt werden. Und das bietet Finanzmarkt-Akteuren theoretisch endlose Möglichkeiten.

Der Eindruck, die deutsche Regierung sperre sich ganz und gar gegen eine Ausweitung des gigantischen Schirms, ist ohnehin falsch: Wolfgang Schäuble ließ bereits durchblicken, dass er sich vorstellen könne, etliche deutsche Milliarden nachzuschaufeln.

Hintergrund: Der Schirm hat drei Säulen. Für 250 Milliarden steht der Internationale Währungsfonds (IWF) gerade, 60 Milliarden garantiert die EU. Die übrigen 440 Milliarden teilen sich  Euro-Mitgliedstaaten auf nationale Rechnung. Ihr Beitrag orientiert sich am jeweiligen nationalen Anteil an der Europäischen Zentralbank (EZB), der in etwa ihre Wirtschaftsleistung abbildet.

Der Schirm besitzt an sich kein Geld. Die einzelnen Länder müssten die Summen erst als Schulden aufnehmen, um sie dann über den Schirm an die notleidenden Partner weiterzureichen. Allerdings verfügen längst nicht alle Euro-Staaten über die beste Bonitätsnote „AAA“. Damit aber der EFSF die Bestnote erreicht, haben die Rating-Agenturen, die die Noten vergeben, gefordert, dass jedes Euro-Land nicht nur mit 100, sondern mit 120 Prozent seines EFSF-Anteil haftet. Durch die „Übersicherung“ des Schirms stehen nur rund 255 Milliarden an Mitteln bereit, die wirklich an gefährdete Länder verliehen werden könnten. Der Rest entfällt auf die „Übersicherung“ und ist demnach nicht wirklich verfügbar.

Genau hier setzt die deutsche Kompromissbereitschaft an. Schäuble hat durchblicken lassen, dass er bereit sei, über eine Ausweitung des tatsächlichen Verfügungsrahmens auf die angestrebten 440 Milliarden nachzudenken. Das hieße jedoch, dass Deutschland, das ohnehin den Löwenanteil trägt, massiv aufstocken müsste.

Dafür, dass es dazu kommt, hat Barroso allein durch seine Äußerungen einen beträchtlichen Beitrag geleistet. Der EU-Kommissionspräsident verfolgt indes noch deutlich weiterreichende Ziele hinsichtlich des Rettungsschirms. Im Einklang mit EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und weiteren Mitgliedern des EZB-Rats verfolgt Barroso das Ziel, nicht bloß den Umfang des Schirms drastisch auszubauen, sondern ihm auch seine Aufgaben spürbar zu erweitern.

So schlug der Vertreter Zyperns im EZB-Rat, Athanasios Orphanides, vor, der EFSF solle auch Staatsanleihen von Euro-Staaten kaufen dürfen. Das hieße, dass der Schirm nicht erst in einer akuten Notlage eingreifen dürfe unter Auflage strenger Regeln für den Hilfenehmer. Nach Orphanides’ Idee würde der Schirm den Ländern auch für den normalen laufenden Betrieb verbilligte Kredite gewähren. Seit vergangenem Mai tut dies bereits die EZB, die Ländern mit geringer Bonität seit vergangenem Mai bereits etwa 75 Milliarden Euro geliehen hat, indem sie deren Staatsanleihen zu günstigen Zinssätzen abkaufte. Dieses Programm soll offenbar unter dem Mantel des EFSF noch deutlich ausgeweitet werden.

Damit wäre ein weiterer bedeutender Schritt in Richtung „Transferunion“ getan. Eine Transferunion nach dem Muster des deutschen Länderfinanzausgleichs würde die deutschen Steuerzahler nach seriösen Schätzungen etwa so viel kosten, wie der Bund insgesamt an Steuern einnimmt.

Berlin ist sich bewusst, dass die Bundesregierungen aller Couleurs Deutschland hier in eine hochgefährliche Lage manövriert haben, aus der es (wegen des numerischen Übergewichts der schwachen Länder in der Euro-Zone) kaum noch ein Entrinnen gibt.

Vor diesem Hintergrund sah sich Kanzlerin Merkel dieser Tage zu einer abrupten 180-Grad-Wende gezwungen und gab der langjährigen französischen Forderung nach einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ nach. Bislang hatte Deutschland eine solche Einrichtung aus Furcht vor französischem Regulierungseifer strikt abgelehnt.

Numehr ist Berlin einverstanden, die Steuerpolitik, Sozialsysteme und Arbeitsmarktpolitik in der Euro-Zone zentral abzustimmen, um Auswüchse à la Griechenland auf diesem Weg zu verhindern. Damit sollen die unkalkulierbar teuren Auswirkungen der heraufdämmernden „Transferunion“ für die Deutschen zumindest abgemildert werden. Hans Heckel


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