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22.01.11 / Generationen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-11 vom 22. Januar 2011

Generationen
von Renate Dopatka

Die Hände in den Taschen seiner beuligen Jeans vergraben, schlenderte Lukas durch die Fußgängerzone. Heut war ein echter Glückstag! Morgens war er noch mit Magendrücken zur Schule geschlichen, hatte voller Unbehagen an seine mangelhafte Vorbereitung für die Mathematikstunde gedacht, hatte einen ganzen langen Vormittag vor sich hingeschwitzt, um dann zu erfahren, dass Mathe ausfallen würde.

Besser konnte der Tag gar nicht laufen! Erstens: Er war der für heute antstehenden Klassenarbeit entronnen. Zweitens: Da Mathe auf die letzte Unterrichtsstunde fiel, hatte er jetzt noch Zeit, ein wenig durch die Stadt zu bummeln und sich die brandaktuelle CD seiner Lieblingsband zu kaufen!

Just in dem Moment, da er aufs Kaufhaus zusteuerte, sah er Tante Carolin. Unwillkürlich strich er sich die langen Ponysträhnen aus der Stirn. Gerade weil er Tante Carolin gut leiden mochte, ärgerte ihn ihr nachsichtiges Lächeln, mit dem sie ihm jedes Mal zu verstehen gab, dass sie sowohl seinen Haarschnitt als auch sein Outfit zu den unvermeidlichen „Kinderkrankheiten“ eines Sechzehnjährigen zählte.

Sie selbst kam stets wie aus dem Ei gepellt daher. Ob Kostüm oder Hosenanzug, Carolin legte allergrößten Wert auf ein korrektes Erscheinungsbild, auf Stil und Eleganz und tadellose Umgangsformen.

Lukas schluckte innerlich. Einerseits war er mächtig stolz darauf, eine so gut aussehende, selbstbewußte Tante zu haben, die es als alleinstehende Frau in ihrem Beruf immerhin in die oberste Führungsetage geschafft hatte, andererseits fand er es ganz schön anstrengend, sich in Carolins Gegenwart immer ein wenig zusammenreißen zu müssen. Auch jetzt nahm er vorsorglich die Hände aus den Taschen, bevor er – betont lässig – auf seine Tante zuschritt.

In ihrem lavendelfarbenen Kostüm und den eleganten Schuhen sah sie einfach klasse aus. Komisch war nur, dass sie, die zügiges Tempo gewohnt war, sich langsam wie eine Schnecke durch die Fußgängerzone bewegte und alle Augenblicke für Sekunden stehen blieb. „Na, Tantchen“, pirschte sich Lukas heran. „Auf großer Shopping-Tour?“ „Ach Lukas“, Carolin brachte ein mattes Lächeln zustande. „Schon aus der Schule?“ Er nickte. „Wir hatten früher Schluss. Mathe ist ausgefallen.“

Jetzt erst sah er, dass Tante Carolins Nase glänzte. Ja, hatte sie denn ihre Puderdose vergessen? Überhaupt wirkte sie ein wenig verschwitzt, derangiert, wie sie wohl sagen würde. „Alles okay?“, fragte er besorgt. „Wie man’s nimmt“, murmelte Carolin und zwängte vorsichtig ihren linken Fuß aus dem Schuh. „Schau dir die fette Blase an: Jeden Moment kann die platzen.“ „O Mann, das ist ja ätzend!“, entfuhr es Lukas, während er auf Tante Carolins malträtierte Ferse starrte. Doch er überlegte nicht lange: „Hak‘ dich bei mir ein, dann fällt’s nicht so auf, wenn du humpelst. Wir gehen zu dem Brunnen da rüber, da kannst du dich setzen.“

Erleichtert ließ Carolin sich auf die steinerne Umrandung plumpsen: „So ein Streß! Stell dir vor: In drei Tagen fahr ich in Urlaub, und der Wagen ist noch immer in der Werkstatt! Dabei sollte er heute fertig sein! Hätte ich ihn bloß nicht durchchecken lassen, die finden doch immer was zu reparieren!“ „Ja, aber wenn er dann unterwegs liegen geblieben wäre?“, gab Lukas zu bedenken. „Auch wahr. Na, egal, morgen kann ich den Wagen abholen. Sagt jedenfalls der Werkstattleiter. Ein gräßlicher Kerl, so selbstherrlich. Richtig echauffiert habe ich mich über den Menschen! Nur weil er den Abholtermin nicht richtig einschätzen kann, muss ich heute noch alle Besorgungen zu Fuß erledigen. Und das in neuen Schuhen!“ „Voll die Krise, wie?“, grinste Lukas. „jetzt, wo du da bist, geht‘s mir schon viel besser“, lächelte Carolin und tupfte sich vorsichtig eine Schweißperle von der Nase. „Ich hol uns ‘ne Abkühlung“, verkündete Lukas und sprang auf, um fünf Minuten später mit zwei Eis am Stiel zurückzukehren.

Dass sein Taschengeld nun wohl nicht mehr für den Kauf der CD reichen würde,  konnte seine gute Laune nicht trüben. Ganz im Gegenteil. Für Lukas war es noch immer ein rechter Glückstag. Denn dass er hier mit seiner Lieblingstante auf dem Brunnenrand saß, diese, gar nicht ladylike, ihre Schuhe abgestreift hatte und nun genußvoll an ihrem Eis schleckte – sie, die Eislecken in der Öffentlichkeit für unästhetisch hielt – das wog die beste CD auf!


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