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29.01.11 / Tunesien-Effekt befürchtet / Arabische Machthaber möchten nicht enden wie Ben Ali

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Tunesien-Effekt befürchtet
Arabische Machthaber möchten nicht enden wie Ben Ali

Noch ist offen, wie es in Tunesien weitergehen wird, ja es ist nicht einmal klar, ob die überstürzt wirkende Flucht von Präsident Ben Ali nur Folge einer spontanen Volkserhebung oder auch ein Königsopfer der Machteliten war wie etwa 1989 beim Sturz des rumänischen Staatschefs Nicolae Ceausescu. Fest steht aber, dass der Nährboden für Aufstände – repressives Regime, allgegenwärtige Korruption und hohe Arbeitslosigkeit – heute in vielen Ländern gegeben ist.

Vor allem in den arabischen Ländern haben Machthaber Grund zur Befürchtung, dass das tunesische Beispiel Schule macht, denn Informationen über das Geschehen sind dank heutiger Technik allgemein verfügbar. Der Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Mussa hat folgerichtig von einer „Warnung“ für die arabische Welt gesprochen. Und schon hat das dort untypische Phänomen Selbstverbrennung Nachahmer in Algerien, Ägypten, Mauretanien und sogar Saudi-Arabien gefunden, wo die Missstände viel größer sind als meist angenommen.

Am höchsten ist die Gefahr größerer Gewaltausbrüche derzeit in Algerien. Der nach umstrittener Wahl seit 1999 amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika ist mehr denn je verhasst, und die Islamisten sind trotz mehrerer Amnestien unvermindert aktiv. Al-Kaida, die auch in den Nachbarländern präsent ist, hat zwar nirgends die Kontrolle und ist auch keine zentral geleitete Bewegung, wie das im Westen oft dargestellt wird, sorgt aber dafür, dass die Regierung in den dünn besiedelten Landesteilen machtlos ist. Und niemand weiß, wie sehr auch die Städte unterwandert sind.

In den anderen Maghreb-Staaten sind die Risiken weniger groß. Denn für die meisten Marokkaner ist König Mohammed VI. als Spross einer in 23. Generation herrschenden Dynastie und als religiöses Oberhaupt legitimiert. Und den von einem allgegenwärtigen Polizeiapparat kontrollierten Libyern geht es wenigstens materiell noch relativ gut.

Kritisch ist die Lage in Ägypten. Solange der schwerkranke Präsident Hosni Mubarak am Leben ist, wird der Machtapparat wohl weiter funktionieren, doch dann? Viel hängt davon ab, wie sich Tunesien entwickelt: Sollte sich die Lage rasch stabilisieren, wäre Feuer unterm Dach. Sollte es aber zu weiteren Unruhen und als deren Folge zu noch mehr Wirtschaftsproblemen kommen, könnten die Ägypter – wie auch die Jordanier und andere – den Status quo einem allgemeinen Chaos vorziehen und sich auch mit einer „dynastischen“ Nachfolge an der Staatsspitze abfinden. Überall zwischen Atlantik und Golf gilt zudem, dass die zersplitterte Opposition bei Machtübernahme überfordert wäre.

Demokratie-Wasser zu predigen, aber beim Diktatoren-Wein mitzutrinken, wie das der Westen laufend praktiziert, wird jedenfalls keinen Araber überzeugen. Und alle wissen, dass es Israel und die USA sind, die das größte Interesse daran haben, dass es speziell bei Israels Nachbarn Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien zu keiner Änderung der Machtverhältnisse kommt. R. G. Kerschhofer


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