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29.01.11 / Fachkräftemangel oder Lohndrückerei?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Gastkommentar
Fachkräftemangel oder Lohndrückerei?
von Prof. Dr. Eberhard Hamer

Einhellig beklagen seit Wochen die Arbeitgeber und Politiker einen angeblichen Facharbeitermangel in Deutschland und fordern deswegen mehr Zuwanderung.

Wohin aber die von den gleichen Kräften jahrzehntelang geforderte Immigration von Proletariat geführt hat, kann man auf den Straßen jeder westdeutschen Großstadt, bei Arbeits- und Sozialämtern sowie an den in den letzten 30 Jahren versechzehnfachten Kosten der Sozialhilfe an diese Immigranten ablesen.

Die in Deutschland immer noch recht hohen Kosten der Arbeit für Geringqualifizierte sind das eine Problem, die Zahl der verfügbaren Facharbeiter ist das andere. Es ist ganz natürlich, dass die Wirtschaft mal boomt, mal in die Rezession gerät. In Boom-Phasen sind immer zu wenig qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden, in der Rezession dagegen fehlen die Aufträge und werden deshalb Arbeitskräfte – auch Facharbeiter – entweder in Kurzarbeit oder Rente oder Arbeitslosigkeit geschickt.

Vor zwei Jahren haben die gleichen Arbeitgeberverbände staatliche Kurzarbeiterhilfe gefordert, weil sie Arbeitskräfteüberschuss hatten. Nun haben wir durch die Geldschwemme der Zentralbanken eine – wahrscheinlich nur vorübergehende – Scheinblüte, und schon reden die Arbeitgeber wieder von Facharbeitermangel. Schon bald dürften sie wieder umgekehrt Arbeitsplätze abbauen. Die Forderung der Arbeitgeberseite und der Sozialindustrie, den wechselnden Arbeitskräftebedarf durch kontinuierliche Immigration zu lösen, bedeutet also im Boom Beschäftigungsmöglichkeit für die Immigranten, in der Baisse jedoch Abgabe dieser Immigranten ins Sozialsystem. Das gilt insbesondere für die unqualifizierte Immigration, von der überhaupt nur die Hälfte an Arbeit interessiert ist. Die anderen wollen nur unsere der Welt höchsten Sozialleistungen genießen, die ihnen rechtlich auch zustehen, sobald sie sich legal in Deutschland aufhalten.

Nachdem die Problematik der Sozialimmigration seit Thilo Sarrazin nun endlich breit diskutiert wird, haben die Konzerne ihre Argumentation auf Facharbeitermangel reduziert, die Immigration von „Sozialbewerbern“ dagegen an die EU geschoben. Auf Betreiben der Arbeitgeberverbände hin hat nämlich die EU-Kommission nun vorgeschlagen, den Geburtenrückgang der Europäer generell durch Zuzug von zunächst etwa 20 Millionen Menschen aus Nordafrika und Asien auszugleichen (warum eigentlich?). Im Oktober 2008 wurde bereits ein erstes Anwerbezentrum für Afrikaner im westafrikanischen Mali eröffnet. Schon am 1. Januar 2009 gab es ein zweites Anwerbezentrum für arbeitslose Afrikaner auf den Kapverden. Dazu wurde für zwei Millionen Euro ein weiteres Informationszentrum der EU errichtet, welches Muslime auf die neuen Einreisemöglichkeiten in der EU hinweist. Solche Informationszentren plant die Kommission auch in anderen nordafrikanischen Staaten, um den Konzernen Billiglohnkräfte und neue Konsumenten zuzuführen. Die EU garantiert den Immigranten, auch qualifikationslosen, ungehinderte Ein- und Ausreise.

Ein solcher von der EU geförderter Unterschichten-Import, vor allem von Afrikanern und Muslimen, wird nicht nur von Konzernen gewünscht, sondern auch von einem millionenstarken Sozialgewerbe in Europa, welches üppig von solcher Immigration und ihren Folgen lebt. Dagegen sind die Bürger in den EU-Staaten – insbesondere die Leistungsträger – gegen weitere Immigration und die gesellschaftlichen Probleme, die sie verursacht.

Einige europäische Länder zahlen bereits Tausende Euro an Zuwanderer, wenn diese wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren (Frankreich: 1000 Euro, Spanien sogar 10000 Euro pro Person). Die Antwort der EU: Sie baut zusätzliche Anwerbezentren in Moldawien und der Türkei auf. Man kratzt sich am Kopf über diese Brüsseler Unvernunft und Dreistigkeit gegenüber den EU-Bürgern.

Die Brüsseler Anwerbeaktion könnte ab 1. Mai 2011 ohnehin durch eine Schwemme osteuropäischer Migration überrollt werden, denn ab diesem Datum fallen die Einschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedsländern in Osteuropa. Nach deren Beitritt 2004 haben Länder wie Deutschland, Österreich, Belgien oder Dänemark ihren Arbeitsmarkt noch bis zu sieben Jahre teilweise abschotten dürfen. Diese Frist läuft nun am 1. Mai aus, nur für Rumänien und Bulgarien wurde sie bis zum 1. Januar 2014 verlängert. Nun sitzen angeblich schon in Polen mehr als 500000 Arbeitskräfte auf ihren Koffern, um ab Mai in den Westen zu wandern, wo sie statt ihres jetzigen Bruttomonatslohns von rund 750 Euro einen mehr als doppelt so hohen Nettolohn erzielen können. In Polen sind je nach Region zwischen zwölf und 20 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, in Ungarn elf Prozent, in Litauen, Estland und Lettland sogar zwischen 18 und 20 Prozent.

Diese absehbare Migrationswelle bringt nicht nur eine Schwemme von Unqualifizierten in unser Land, sondern auch Fachkräfte – aber vielleicht mehr als wir überhaupt beschäftigen können. Inzwischen ahnt sogar das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dass es – abgesehen von wenigen Berufen wie Ärzten oder Ingenieuren – einen Fachkräftemangel in Deutschland nicht gebe. Für viele Berufe übersteige schon jetzt das Ausbildungspotential die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes, sogar in Bereichen wie Mathematik, Physik oder Chemie und Biologie. Vor allem aber weist das Institut mit Recht darauf hin, dass sich ein Facharbeitermangel an steigenden Gehältern dieser Gruppen hätte zeigen müssen. Dies sei aber nicht der Fall. Wenn aber der Marktpreis (die Löhne) keinen Mangel anzeigt, müssten andere Gründe hinter den Klagen über Arbeitskräftemangel stecken.

Schon einmal, im Jahre 2000, hatten wir eine von interessierten Konzernen hervorgerufene Green-Card-Debatte. Als die Regierung Schröder damals ebenfalls einknickte, zeigte sich jedoch, dass die Green Cards überhaupt nicht verlangt wurden, die erwartete Einwanderung von Fachkräften, insbesondere Computerexperten, nie stattfand. Nachher gestand ein Vorstandsmitglied eines der größten Informatikkonzerne, dass ihnen allein die Diskussion über den Import von ausländischen Informatikern „eine Durchschnittsersparnis von Lohnsteigerungen in Höhe von rund 10000 Euro pro Mitarbeiter“ gebracht hätte. Offenbar dienen also falsche Fachkräftemangel-Parolen auch der Lohndrückerei für bestehende Arbeitsverhältnisse. Mit angeblich notwendiger Zuwanderung von Fachkräften will man Lohn- und Gehaltserhöhungen vermeiden. Dass die Politik und die Gewerkschaften bei diesem Spiel auch noch mitmachen, ist entweder Dummheit oder Betrug.

Statt den Beschwörungen vom angeblichem Facharbeitermangel zu folgen, sollte also die Politik erst einmal darauf hinweisen, dass sich an den Einkommen der betreffenden Fachkräfte gar kein Mangel zeige. Vor allem aber sollte die Politik von den die Immigration fordernden Konzernen langfristige, mindestens zehnjährige Arbeitsverträge verlangen, damit nicht kurze Aufschwungzeiten zur Immigration führen, und die Immigranten dann schon bald in die Sozialsysteme abgeschoben werden können. Wenn die Industrie Immigration fordert, muss sie auch deren langfristige Kosten selbst übernehmen, statt sie an die Bürger weiterzureichen.

 

Prof. Eberhard Hamer (* 1932) ist Volkswirt und Jurist. Er gilt als ein Begründer der Mittelstandsökonomie.


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