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29.01.11 / Wie aus Geschichte ein Mythos wurde / Vor 600 Jahren endete der Krieg, der in der Schlacht bei Tannenberg/Grunwald entschieden wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-11 vom 29. Januar 2011

Wie aus Geschichte ein Mythos wurde
Vor 600 Jahren endete der Krieg, der in der Schlacht bei Tannenberg/Grunwald entschieden wurde

Vor sechs Jahrhunderten schlossen der Deutsche Orden und die polnisch-litauische Union den Ersten Thorner Frieden. Damit en­de­te ein Krieg, eine Fehde, deren Entscheidungsschlacht bei Tannenberg/Grunwald Jahrhunderte später im Zeitalter des Nationalismus zum Mythos wurde.

Am 1. Februar 1411 wurde der 1. Thorner Frieden geschlossen. Trotz der ka­ta­strophalen Niederlage konnte der Hochmeister des Ordens recht gute Bedingungen aushandeln: Nur das Gebiet der Schamaiten und kleinere Randgebiete gingen verloren, aber die Kontributionen, die für die Auslösung von Gefangenen und die Räumung der Burgen verlangt wurden, belasteten den Ordensstaat sehr stark. Für Polen zum nationalen Mythos wurde die Schlacht bei Tannenberg/Grunwald erst im 19. Jahrhundert.

Der 1798 im seinerzeit russischen und heute weißrussischen Nawahradak geborene polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz, der Litauen seine Heimat nannte, hat sich der Geschichte dieser Schlacht in seinem Nationalepos „Pan Tadeusz“ angenommen. Er hat drei Kreuzritterromane verfasst, in denen er vordergründig den Deutschen Orden attackiert. Ähnlich einem Schlüsselroman steht der Orden für das Zarenreich, das Kongress­polen einverleibt hatte. Angesichts der russischen Zensur konnte Mickiewicz Russland nicht direkt angreifen. Über den Roman „Konrad Wallenrod“ schrieb der polnische Literaturhistoriker Wilhelm Bruchnalski (1859–1938) 1922: „Eine Erzählung, die hinter der Form der Allegorie das wichtigste Problem des ganzen Volkes verbirgt: den Kampf auf Leben und Tod mit Russland.“

In der Zeit des kleindeutschen Kaiserreiches verschärfte sich der deutsch-polnische Nationalitätenkampf und der Mythos Grunwald entwickelte ein Eigenleben. Man vergaß, dass Mickiewicz’ Werk eigentlich gegen die Russen gerichtet war, und es blieb das Bild von den blutgierigen und grausamen Kreuzrittern.

Der 1838 in der Republik Krakau geborene berühmte polnische Maler von nationalen Motiven, Jan Matejko, griff Grunwald als nationalen Mythos wieder auf. Er selbst sagte: „Kunst ist eine Art Waffe; man darf die Kunst nicht von der Liebe zum Heimatland trennen.“ Und so schuf der Krakauer Maler von 1872 bis 1878 das „mit Wut gemalte“ monumentale Gemälde „Die Schlacht bei Grunwald“, das zu einer Art Nationalheiligtum wurde. Auf dem Bild wird der Hochmeister Ulrich von Jungingen dargestellt, wie er gerade von einem polnischen Spieß durchbohrt wird. Und dieser ist in dieser Darstellung die Goldene Lanze, die im Jahre 1000, an der Wende vom Früh- zum Hochmittelalter, Kaiser Otto III. dem polnischen Herzog Bolesław I. Chrobry (in Kopie) geschenkt hatte. Doch das ist unhis­torisch. Dass der Hochmeister überhaupt durch die Hand von einfachen Fußsoldaten fiel, wird von der historischen Forschung heute bezweifelt. Das Bild ist ein Stück Propaganda, keinesfalls eine Historienmalerei.

Im liberalen Habsburgerreich, zu dem Matejkos Heimatstadt Krakau ab 1846 gehörte, war es möglich, ein derartiges Werk öffentlich zu machen. Das Publikum war begeistert und der Maler erhielt dafür am 1878 vom Krakauer Stadtrat die Bezeichnung „König der Maler“ verliehen.

Auch in der Zeit der Volksrepublik genoss das Bild hohes Ansehen, da das Motiv als klassenkämpferisch interpretiert werden konnte, tötet doch ein einfacher Bauer den verhassten Hochmeister. Heute noch wird das Bild von Nationalpopulisten verwandt. Lech Kaczynski verkündete vor dem Bild im März 2005 seine Kandidatur für das Amt des polnischen Staatspräsidenten.

Matejkos Werk regte den 1846 im kongresspolnischen Wola Okrzejska geborenen späteren Literaturnobelpreisträger Henryk Sienkiewicz zu seinem 1900 veröffentlichten Ritterroman „Krzyzacy“ („Die Kreuzritter“) an. Es ist eine Art literarische Schwarz-Weiß-Malerei einer spätmittelalterlichen Auseinandersetzung zwischen Polen und Deutschen als Kampf zwischen Gut und Böse. Die Darstellung der Kreuzritter als charakterlos, feige, grausam und wortbrüchig prägt bis heute ihr Bild in der polnischen Geschichtswahrnehmung. Während des Zweiten Weltkriegs wählten viele Kämpfer der polnischen Untergrundarmee Tarnnamen aus Sienkiewicz’ Roman. Der Roman wurde im Jahr 1960 unter der Regie des polnisch-jüdischen Regisseurs Aleksander Ford verfilmt und erfreut sich immer noch großer Beliebtheit.

Nach dem sogenannten Wreschener Schulstreik wurde im Jahr 1902 der Jahrestag der Schlacht erstmals als nationales Fest begangen. Zur Fünfhundertjahrfeier in Krakau im Jahre 1910 kamen 150000 Polen zusammen, mehr Menschen, als Krakau damals Einwohner hatte. Der Höhepunkt dieser größten nationalen Kundgebung während der gesamten Teilungszeit Polens war die feierliche Enthüllung eines Grunwald-Denkmals des Bildhauers Antoni Wiwulski, das der polnisch-amerikanische Pianist Ignacy Paderewski finanziert hatte. Die Wirkung dieses Aktes richtete sich nachhaltig gegen Preußen und Deutschland.

Nach 1918/19 übernahm der neue polnische Staat den Mythos Grunwald. Kaum eine Stadt hat keine „ulica Grunwaldzka“ oder einen „plac Grunwaldzki“, und aus dem Geschichtsunterricht ist er auch nicht wegzudenken.

Auch der 1864 in Strawczyn in der Nähe von Kielce geborene Schriftsteller Stefan Zeromski ließ sich vom nationalen Pathos Grunwalds beeinflussen und verfasste eines der aggressivsten Werke über den Deutschen Orden: „Wiatr od morza“ („Wind vom Meer“). In diesem 1922 erschienenen Buch wird der Hochmeister Hermann von Balk mit dem Teufel gleichgesetzt. Satan persönlich rät ihm, im Namen Jesus zu morden und das Land zu vernichten.

1945 schuf der 1914 in Warschau geborene Grafiker Tadeusz Trepkowski ein Plakat, in dem er einen Zusammenhang zwischen der Tannenbergschlacht und der Schlacht um Berlin 1945 herstellte. Diesen Zusammenhang stellt auch das beliebte Wortspiel „Grunwald – Grunewald“ her.

Seit der friedlichen Revolution weicht in Polen der Mythos einer differenzierten, bis ins Ironische reichenden Vorstellung. Aus dem nationalen Akt von 1910 wurde 2010 ein „ritterliches Woodstock“, ein jährlich stattfindendes kommerzielles Historienspektakel.  Martin Sprungala


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